Mitschnitt mit dem Historiker Karl-Heinz Roth

„Corona und der globale Kapitalismus“ – ein Gesprächsformat von Gerhard Hanloser, Peter Nowak und Anne Seeck, Autor*innen des Buches

Corona und die linke Kritik(un)fähigkeit

Die Coronakrise und die Folgen“ (Kunstmann Verlag) Der Link zum Mitschnitt findet sich am Ende des Textes

Mit Karl Heinz Roth meldet sich ein Autor zu der Coronakrise zu Wort, der eine beachtenswerte Biographie vorzuweisen hat. Er ist Arzt und war bis 1997 in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Hamburg tätig. Als Historiker gab er in den 70er Jahren kontrovers aufgegriffene Anstöße zur Erforschung der Arbeiterbewegung. 1986 gründete er mit anderen die Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. In der Zeitschrift 1999 widmete er sich vor allem der Erforschung der Sozial-, Wirtschafts- und Medizinpolitik des NS und organisierte und beteiligte sich an Debatten über den Charakter des deutschen Faschismus und der auf ihn bezogenen Erinnerungs- und Vergangenheitspolitik. Zuletzt erschien hierzu ein Buch von Karl Heinz Roth zur Frage der Reparationen der deutschen Besatzung in Griechenland. 1942 geboren beteiligte er sich als Hamburger SDS-Aktivist am internationalistischen und antinazistischen Aufbruch eines Teils seiner Generation. In der Zeit des Niedergangs der DDR und des Anschlusses der DDR an die BRD zählte er zu den wichtigen Stimmen der außerparlamentarischen Linken, die an einer linken Neuformierung nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus arbeiteten. Dabei hatte er eine Sonderstellung, weil er materialistisch gestimmt eine globale „Wiederkehr der Proletarität“ diagnostizierte und auf den neoliberalen Deregulierungsschub mit samt seinen sozialen, mentalen, ideologischen Folgen aufmerksam machte. Roth ist also in mehrerlei Hinsicht eine berufene Instanz, deren Urteil zählen sollte. Nun liegt von ihm ein Buch mit dem Titel „Blinde Passagiere. Die Coronakrise und die Folgen“ beim Verlag Antje Kunstmann vor. Im ersten Teil geht er der Vorgeschichte der aktuellen Pandemie nach, schildert die SARS-Pandemie 2002/2003 und die MERS-Pandemie seit 2012. Bereits zu diesem Zeitpunkt war das globale Gesundheitswesen in Abhängigkeit geraten zu sogenannten „Charitable Foundations“ von Kapitalvermögensbesitzern. Die Pandemien sorgten allerdings dafür, dass Risikoanalysen und Planspiele durchgeführt wurden, um die Ausbreitung solcher Infektionen zu antizipieren und abzuwehren. Nach Roth kulminierten sie in einer Fixierung auf ein „Worst-Case-Geschehen“. In den Pandemieübungen sei so den Betreibern die Bodenhaftung verloren gegangen und es hätte sich ein Haltung breitgemacht, dass alles so schlimm werde, dass man ohnehin nichts tun könne. Am Beispiel des nationalen Pandemieplans der BRD könne gezeigt werden, dass philanthropische Unternehmer und Manager der Pharmaindustrie sich in die Planspiele miteinbrachten mit dem Ergebnis, dass wirkungslose Medikamente bevorratet wurden, aber notwendige Vorsorgemaßnahmen für die allgemeine Infektionshygiene ausgeklammert wurden. (…) Roth spricht von der Covid-19-Pandemie als „Die große Angst des Jahres 2020“. Ängste, Gerüchte, Vorurteile schossen ins Kraut und erinnern teilweise an die „Grande Peur“ am Vorabend des Revolutionsjahrs 1789 – nur dass wenig nach einer Revolution aussieht. Die Fragen sind eher pragmatischer Art, wie z.B. jener nach der Möglichkeit eines globalen Wirtschaftsreformismus, schließlich hatte die Politik in Form von Zentralbanken und Verfügung über öffentliche Haushalte die Fähigkeit bewiesen, rasche und umfangreiche finanz- und fiskalpolitische Stimulierungsmaßnahmen jenseits des neoliberalen Austeritätsdogmas durchzuführen.

Hier der Mitschnitt der Onlinediskussion mit Karl-Heinz Roth: 

Quelle https://de.indymedia.org/node/170398