Sieben Songs für den Frieden

Flüchtlinge aus dem Camp in Dannenberg machen professionell Musik, um Erlebnisse zu verarbeiten

tl Dannenberg. Sie singen, um ihre Erlebnisse auf dem Fluchtweg nach Deutschland zu verarbeiten, rappen, um ihrer Wut Luft zu machen. Sie texten, um sich ihre Sorgen von der Seele zu schreiben.

Sie machen Musik, um anderen Hoffnung zu machen: Sieben Songs hat die Gruppe von Flüchtlingen aus dem DRK-Camp in Dannenberg seit Dezember produziert. Es klingt hochprofessionell, was Ali Brand da über den Ghetto-Blaster abspielt: „Das klingt geil, oder?“ Der 36-Jährige hat das Projekt initiiert und lebt für die Musik. Die Beats hat er selbst zu Hause produziert, dort, wo er sonst unter seinem Künstlernamen „Kran E-Boogie“ Elektro-Pop produziert. „In der Unterkunft haben wir uns dann die Musik zusammen angehört und überlegt, welche Texte dazu passen. Sie haben ihre Texte fast alle allein geschrieben“, ist Brand beeindruckt von dem, was die Gruppe auf die Beine gestellt hat. Nur selten hat er geholfen.

Längst nicht alle Texte versteht der Musikmacher. Wie auch, sie erklingen nämlich nicht nur auf Englisch, Französisch und Deutsch, sondern auch auf Arabisch, Afrikanisch, in Farsi und vielen anderen Sprachen. Und dennoch ist er überzeugt: „Musik versteht jeder. Es ist die ideale Plattform.“ Brand wollte den Flüchtlingen diese Plattform bieten. „Alle sprechen über die Flüchtlinge, aber sie sollen auch mal selbst sagen können, was sie bewegt“, erklärt der 36-Jährige. „Da kommen Emotionen rüber, Musik trägt eine Botschaft besser als Briefe oder andere Dinge“, ist Brand überzeugt. Musik, darüber verbinde man sich. Sie habe eine wunderbare Brücke für das Musikprojekt geschlagen. „Hip-Hop, das kannten alle schon aus ihren Ländern. Und schon hatten wir eine Gemeinsamkeit“, erzählt Brand.

Brand ist in seinem Element, wenn er von der Musikgruppe erzählt. Von seiner Musikgruppe. Er strahlt über das ganze Gesicht. Und dennoch gibt es da etwas, das ihn traurig stimmt: „Die Flüchtlinge bekommen jetzt nach und nach ihren Transfer und verlassen das Camp. Damit stirbt die Gruppe natürlich.“ Eine von denen, die das Camp bereits verlassen haben, ist Sarah. Die 17-Jährige lebt nun in Barsinghausen bei Hannover, war Frontsängerin der Gruppe. Zum Zeitpunkt des Gesprächs am Sonnabend war sie noch in Dannenberg, hatte noch einige Tage im Camp.

70 Bewohner zählte das Camp zu diesem Zeitpunkt. Am Dienstag waren es noch 60. Der Trend ist weiter rückläufig, erklärt Unterkunftsleiter Nicolai Panke. „Wir wissen es zwar noch nicht offiziell, aber wir gehen davon aus, dass wir in Dannenberg auch keine neuen Bewohner mehr zugewiesen bekommen.“ Auch Sarah hat sich mental schon auf den Abschied aus Dannenberg vorbereitet. Doch jetzt ist sie noch voll bei der Sache. Ihre Lippen bewegen sich zum Song „All together“ – Sarahs Lieblingsstück. „Das Singen in der Gruppe war einfach toll“, sagt sie. „Wenn ich diesen Song höre, bin ich einfach glücklich.“ Sie übersetzt den Songtext, auch Brand versteht ihn nun das erste Mal: „Du darfst nicht einfach über mich urteilen, höre dir erstmal meine Geschichte an“, singt Sarah in dem Song. Sie erzählt von Begegnungen mit der Polizei in der Türkei, von Ängsten und Sorgen auf dem Fluchtweg, der auch durchs Meer führte. Sarah ist Afrikanerin. Durch die Musik ist sie Deutschland mental ein Stück näher gekommen.

„Die Leute da draußen müssen das hören“, ruft Ali Brand, während die Musik weiterhin laut aus den Boxen schallt. Sie kann für ihn gar nicht laut genug sein. Sie begeistert ihn. Und er möchte, dass sie auch andere Menschen begeistert. „Deshalb wollen wir die Songs auf Youtube hochladen und in den sozialen Netzwerken verbreiten. Die Musik soll nicht hier hinter verschlossenen Türen bleiben, sie soll raus“, ruft Brand und dreht den Regler noch ein bisschen höher. Er ist froh, dass schon so viele Lieder aufgenommen sind. Und auch ein Musikvideo ist schon abgedreht, muss aber noch geschnitten werden.

Auch, wenn die Gruppe nun auseinandergeht: „Über die Musik bleiben wir verbunden“, sagt Brand, „auch über hunderte Kilometer Entfernung.“ Vielleicht wird er Recht behalten: Sarah hat gerade versprochen, ihn besuchen zu kommen.

gefunden: EJZ, 14.06.2016