Alfredo Cospito: “Ich danke euch, Genossen, für eure Liebe”

Mein Kampf gegen das 41bis Regime ist der individuelle Kampf eines Anarchisten, ich gebe oder empfange keine Anweisungen. Ich kann einfach nicht unter einem unmenschlichen Regime leben, wie es 41bis bedeutet, wo ich nicht frei lesen kann, was ich will, Bücher, Zeitungen, anarchistische Zeitschriften, Magazine für Kunst und Wissenschaft sowie Literatur und Geschichte. Die einzige Möglichkeit, dem Regime zu entkommen, besteht darin, meine Identität als Anarchist aufzugeben und sie an jemanden anderen zu verkaufen, der meinen Platz einnimmt.

Ein Regime, in dem ich keinen menschlichen Kontakt haben kann, in dem ich keine Handvoll Kräuter pflücken oder einen geliebten Menschen umarmen kann. Ein Regime, in dem die Fotos unserer Eltern geraubt werden. Lebendig begraben in einer Gruft, an einem Ort des Todes.

Ich werde meinen Kampf bis zum Äußersten fortsetzen, nicht wegen einer „Anklage“, sondern weil dies kein Leben ist.

Wenn es das Ziel des italienischen Staates ist, dass ich mich von den Aktionen der Anarchisten außerhalb der Gefängnisse „distanziere“, dann soll er wissen, dass ich als guter Anarchist keine Anweisungen akzeptiere. Ich glaube, dass jeder Mensch für sein eigenes Handeln verantwortlich ist, und als Anhänger einer Strömung der informellen Organisierung bin ich bei niemandem „angegliedert“ und kann mich daher von niemandem „distanzieren“. Affinität ist eine andere Sache. Ein kohärenter Anarchist distanziert sich nicht aus Opportunismus oder Bequemlichkeit von anderen Anarchisten. Ich beanspruche meine Taten immer mit Stolz (auch vor Gericht, deshalb bin ich hier) und ich kritisiere niemals die Taten anderer Genossen, schon gar nicht in einer Situation wie der, in der ich mich befinde.

Die größte Beleidigung für einen Anarchisten ist es, wenn man ihm vorwirft, Befehle zu erteilen oder entgegenzunehmen. Als ich unter dem Regime der Hochsicherheitsüberwachung einsaß, herrschte Zensur in jeder Hinsicht, und doch habe ich nie einen „Pizzini“ (Papierzettelchen die von der Cosa Nostra zu Kommunikation benutzt wurden, d.Ü.) geschickt, sondern Artikel an anarchistische Zeitungen und Zeitschriften. Vor allem, weil ich frei war, Bücher und Zeitschriften zu erhalten, frei, Bücher zu schreiben und zu lesen, was ich wollte… ich durfte leben.

Heute bin ich bereit zu sterben, um die Welt wissen zu lassen, was 41bis wirklich ist. 750 Menschen leiden darunter, ohne darüber zu sprechen, und werden von den Massenmedien ständig zu Monstern gemacht. Jetzt bin ich an der Reihe, sie haben nun mich in ein Monster verwandelt, den blutrünstigen Terroristen, dann haben sie mich geheiligt wie den anarchistischen Märtyrer, der sich für andere geopfert hat, und am Ende haben sie mich wieder in ein Monster verwandelt, in ein schreckliches Ungeheuer. Wenn alles vorbei ist, wird man mich zweifellos auf die Altäre des Märtyrertums heben. Nein, danke, dafür stehe ich nicht zur Verfügung, für ihre schmutzigen politischen Spiele bin ich nicht zu haben.

Das eigentliche Problem des italienischen Staates ist nämlich, dass er von all den Rechten weiß, die in diesem 41bis-Regime im Namen einer „Sicherheit“, für die alles geopfert wird, verletzt werden. Nun… sie werden noch einmal darüber nachdenken müssen, bevor sie einen Anarchisten hier reinstecken. Ich weiß nicht, welche wahren Beweggründe oder politischen Manöver dahinter stecken. Und aus welchem Grund jemand mich als „vergifteten Apfel“ in diesem Regime benutzt hat. Es war ziemlich unmöglich, meine Reaktionen auf dieses „Nichtleben“ nicht vorherzusehen. Der italienische Staat ist ein würdiger Vertreter der Heuchelei des Westens, der dem Rest der Welt ständig Lektionen in Sachen „Moral“ erteilt. Der 41bis hat Lehrstunden erteilt, die von „demokratischen“ Staaten wie der Türkei (wie unsere kurdischen Freunde wissen) und Polen sehr gut genutzt werden.

Ich bin überzeugt, dass mein Tod ein Hindernis für dieses Regime sein wird und dass die 750 Menschen, die jahrzehntelang unter ihm gelitten haben, ein lebenswertes Leben führen können, unabhängig davon, was sie getan haben.

Ich liebe das Leben, ich bin ein glücklicher Mensch, ich würde mein Leben mit niemandem tauschen wollen. Und gerade weil ich es liebe, kann ich dieses hoffnungslose Nicht-Leben nicht akzeptieren.

Ich danke euch, Genossen, für eure Liebe.

Immer für die Anarchie,

niemals gebeugt.

Alfredo Cospito

Quelle: https://kontrapolis.info/9777/