Einige Worte zu diesem Heft
”Jede Kriegführung gründet auf Täuschung. Wenn wir also fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen; wenn wir unsere Streitkräfte einsetzen, müssen wir inaktiv scheinen; wenn wir nahe sind, müssen wir den Feind glauben machen, daß wir weit entfernt sind; wenn wir weit entfernt sind, müssen wir ihn glauben machen, daß wir nahe sind.
Lege Köder aus, um den Feind zu verführen. Täusche Unordnung vor und zerschmettere ihn. Wenn der Feind in allen Punkten sicher ist, dann sei auf ihn vorbereitet. Wenn er an Kräften überlegen ist, dann weiche ihm aus. Wenn dein Gegner ein cholerisches Temperament hat, dann versuche ihn zu reizen.
Gib vor, schwach zu sein, damit er überheblich wird. Wenn er sich sammeln will, dann lasse ihm keine Ruhe. Wenn seine Streitkräfte vereint sind, dann zersplittere sie. Greife ihn an, wo er unvorbereitet ist, tauche auf, wo du nicht erwartet wirst.”
– Sunzi (chinesischer Militärstratege und Philosoph, 544 BC – 496 BC)
Was du hier in den Händen hälst, könnte als eine Art Neuauflage der Prisma – prima radikales info sammelsurium militanter aktionen verstanden werden, die vor ungefähr elf
Jahren in autonomen Kreisen verbreitet wurde. Dieses Heft will jedoch neben den ganzen praktischen Tips, mehr Gewicht für strategisches und taktisches Agieren vorschlagen. War die Prisma ein typischer Ausdruck einer Phase exponierender Militanz, ging dieser Phase doch irgendwann die Luft aus. Resultat eines inhaltlichen und organisatorischen Stillstands der autonomen oder anderweitig radikalen Szene, die lediglich die Taktzahl ihrer Angriffe kurzfristig steigern konnte.
Es gab seit dem Erscheinen der Prisma Momente, in denen das Zusammenwirken von Kampagnen der Kleingruppen und Massenmilitanz neue Dimensionen zu eröffnen schienen, beispielsweise die EZB Eröffnung in Frankfurt 2015 oder der G20 in Hamburg 2017. Jedoch sieht die Tendenz inzwischen eigentlich anders aus, unsere Räume schrumpfen und damit auch unsere Anzahl an Gefährt:innen, viele Strukturen sind verschwunden. Aufzuhalten ist diese Tendenz nicht mit mehr Aktionen sondern mit strategischen und taktischen Überlegungen. Denn diese setzen eine intensive Beschäftigung mit den Zielen, dem Inhalt und dem Kontext unserer Gewalt voraus und führen zu einer stärkeren Bindung an klandestine Strukturen.
Während der Vorbereitung zu diesem Heft ist eine weitere Schwäche der militanten Szene offensichtlich geworden. Nicht nur haben wir es nicht geschafft Machtverhältnisse, Dominanz, patriarchiale Gewalt und Vergewaltigungen in dieser Szene zu überwinden, sondern der Fetisch von Action und Gewalt hat Typen angezogen, von denen der aktuelle Kronzeuge in Dresden nur die Spitze des Eisbergs ist. Wenn wir die ständige Reproduktion dieser Verhältnisse nicht
stoppen können, ist das hier geschriebene allerdings nicht das Papier Wert, auf dem es gedruckt ist. Purer Aktionismus erreicht sehr schnell die Grenzen individueller Sättigung und Frustration.
Dabei will dieses Heft keine Überzeugungsarbeit leisten, Gewalt gegen den Staat und seine gesellschaftlichen Bedingungen anzuwenden und Sachen zu zerstören.
Davon ausgehend, dass die Notwendigkeit der Selbstverteidigung und Gegengewalt im sozialen Krieg, den Leser:innen bewußt ist, plädiert dieses Heft für die Weiterentwicklung der Militanz auf allen Ebenen. Um das etwas weniger abstrakt klingen zu lassen; das spurenfreie Zerstören von Fensterscheiben kann sicher ein befreiender Akt sein, als Motivationsgrundlage für jahrelange Beteiligung an dieser Aktionsform reicht es erfahrungsgemäß aber nicht aus. Hingegen ist das Zerstören von Fensterscheiben und das Auslegen von Krähenfüssen für die heraneilenden Streifen ein taktischer Zug. Gehören die Fensterscheiben zu bestimmten Objekten oder spielt sich das ganze in einem speziellen Gebiet ab und wird die Aktion im nachhinein propagandistisch von den Akteur:innen genutzt um mit weiteren Methoden auf diesem Feld zu
agieren, wird eine Strategie verfolgt.
Die Beteiligten werden sich irgendwann an dem Punkt wiederfinden, von dem aus ein gewisser Carlos Marighela im Juni 1969 in Brasilien das “Handbuch des Stadtguerillero” [1] schrieb, das weltweit viele der damals operierenden Gruppen inspirierte, darunter die RAF. Heute mögen wir Marighelas Ausführungen belächeln oder pathetisch finden, sie trafen jedoch in ihrer Zeit den richtigen Ton um andere zu inspirieren. Das lässt sich von vielen Aufrufen, Erklärungen und Anleitungen der letzten Jahre nicht sagen, zu oft werden sie von Menschen verfasst, die nach einer kurzen Phase heftigen Glühens für die soziale Revolution schnell wieder erlöschen und dabei mehr oder weniger kurzatmige Texte hinterlassen, siehe die Konvolute, die uns die mg hinterlassen hat [2].
Die gesellschaftliche Situation, mit der wir in der BRD konfrontiert sind, lässt uns Aufgrund des Ausbleibens von Massenkämpfen und sozialen Spannungen die Taktiken und Methoden der Stadtguerilla noch als das Sinnvollste erscheinen. Vom früheren US Außenminister und Kriegsverbrecher Henry Kissinger stammt folgender interessanter Ausspruch:
„Die Guerilla gewinnt, wenn sie nicht verliert. Die konventionelle Armee verliert, wenn sie nicht gewinnt.“
Auf der Suche nach Mitteln und Methoden und der Legitimation durch Analysen, stösst mensch schnell auf das “Konzept Stadtguerilla” [3] der RAF von 1971. Auch dieses Konzept ist gescheitert, ausgehend von einer fehlerhaften maoistischen Bestimmung, setzte es Stadtguerilla und bewaffneten Kampf gleich. Damit konnte zu wenig Resonanz im widerständigen Millieu erzeugt werden, um die folgende Repression auszuhalten. Während die RAF in diesem Text noch
den Glauben, selbst das revolutionäre Subjekt zu sein als ignorant bezeichnet, wissen wir doch einige Jahrzehnte später, dass nur du und ich, als jeweils eigene revolutionäre Subjekte in der Lage sind, der scheinbar unveränderlichen Dystopie des kapitalistischen Alltags etwas entgegensetzen zu können.
Mit diesem Heft soll nicht nur eine einfache Bauanleitung für eine militante Praxis geliefert werden, sondern auch der Versuch unternommen werden, dem fortwährenden Zerfall der Gruppen und Strukuren vorzubeugen, der alle paar Jahre viel Wissen der Vergessenheit übergibt und aufgrund einer inhaltlichen Schwäche, sowohl Vermassung als auch qualitative Steigerung ausschließt. Was vermutlich hier den Rahmen sprengen würde, aber sicherlich in möglichen Erwiderungen auf unseren Beitrag von Interesse sein könnte, ist die Frage nach der staatlichen Reaktion auf unsere Selbstverteidigung. Davon ausgehend, dass es tatsächlich wir sind die agieren und damit den Staat zwingen zu reagieren, isoliert uns dass von Spektren, die wir agitieren wollen? Oder treibt die Willkür der Behörden, z.B. durch die Errichtung von “Gefahrengebieten”, weitere Menschen zum Widerstand?
Damit Militanz und Gegengewalt in den 2020er Jahren nicht rein voluntaristisch sind und damit schnell an ihre Grenzen stoßen, zwingt uns beispielsweise die Unfähigkeit der Gesellschaft, Freiheit zu vermissen, dazu die Vermittelbarkeit unserer Aktion anderen Kriterien unterzuordnen; siehe Kollateralschäden bei Autobränden oder Bahnsabotage der Vulkangruppen? Sehr wahrscheinlich wird der Charakter unserer Praxis immer der der Partisanin sein, nur dass sich dadurch kaum jemand befreit von kapitalistischem Zwang oder patriarchialer Herrschaft fühlen wird. Eine Erkenntnis, die vielen nach wenigen Jahren den Ausstieg aus unseren Zusammenhängen erleichtert.
Bevor nun die hier vorgestellten Methoden angewendet werden, empfehlen wir einen Teil des bisherigen Diskurses gegenwärtig zu haben, wozu auch “Die neue anarchistische Stadtguerilla” [4] der Verschwörung der Zellen des Feuers (CCF) aus dem Jahr 2012 gehört.
[1] https://maoistdazibao.files.wordpress.com/2016/11/carlos marighela handbuch des stadtguerillero.pdf [2] https://www.freitag.de/autoren/oliver rast/mit brandsatz und bekennerschreiben [3] https://socialhistoryportal.org/sites/default/files/raf/0019710501_7.pdf [4] https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2016/01/1271987805.pdfZum Heft gehts hier lang: https://spektrum4ideen.noblogs.org/files/2023/02/spektrum.pdf