Warum wir die Organisator*innen und Teilnehmer*innen der montäglichen Kundgebungen und “Spaziergänge” als Menschenfeinde bezeichnen.
Redebeitrag der Antifaschistischen Aktion Lüneburg / Uelzen am 27. Dezember 2021:
Die schlimmsten Geschichten schreibt das Leben noch selbst. Stimmt leider!
Platzverweis für Menschenfeinde heißt erneut unsere heutige Kundgebung. Weiterhin sind damit jene Personen gemeint, die dem Aufruf der sogenannten „Freien Niedersachsen“ gefolgt sind und versuchen, sich mit Kerzen und Liedern ein harmloses Auftreten zu geben.
Warum also Menschenfeinde?
Die „Freien Niedersachsen“ stellen sich in die Tradition der „Freien Sachsen“. Diese wurden Anfang des Jahres von Aktivisten der rechtsextremen und neonazistischen Szene gegründet. Als Beispiel zwei Hauptakteure der „Freien Sachsen“: Michael Brück, in jungen Jahren in der NPD Jugendorganisation JN aktiv, dann Kader und Führungsperson der Neonazi Organisation Nationaler Widerstand Dortmund, als diese 2012 verboten wird, gründet er den NRW Landesverband der Partei „Die Rechte“. Vor einem Jahr zog Brück nach Chemnitz und ist in der Kanzlei von Martin Kohlmann angestellt. Martin Kohlmann, Anwalt aus Chemnitz, seit 2 Jahrzehnten in rechtsextremen Organisationen aktiv, Republikaner, DSU, Pro Chemnitz. 2018 erlangte er dann größere Bekanntheit, als er sie rassistische Mobilisierung in Chemnitz mit anführte. Er vertrat als Anwalt die rechtsterroristische „Gruppe Freital“, die Sprengstoffanschläge auf Asylunterkünfte verübte und Flüchtlingsunterstützer*innen angriff. Auch er selbst wurde letztes Jahr wegen Leugnung des Holocaust verurteilt.
Es besteht also bei den Gründern und Hauptakteuren der „Freien Sachsen“ eine Jahre bis vielmehr Jahrzehnte lange Erfahrung in rassistischer Hetze und Mobilmachung zur Menschenjagd.
Eben jene Erfahrung in Mobilmachung lassen sie jetzt in das Aufstacheln der Coronaleugner*innen fließen und bejubeln, dass sich auch in Niedersachsen ein Ableger der sogenannten „Freien“ gegründet habe und diese Neuformierung der „Montagsspaziergänge“ nun in einem Flächenbrand ihre Entsprechung fände.
Wer sich in diese Tradition stellt, muss sich gefallen lassen, als Menschenfeind bezeichnet zu werden.
Nun werden das die meisten Kerzenträger*innen weit von sich weisen, sie reden von Freiheit und Frieden und das spannt den Bogen zu einer Tradition, die keinen Bezug zu den „Freien Sachsen“ braucht, um als Menschenfeinde gesehen zu werden, denn: Wir erinnern uns an die sog. Montagsmahnwachen vor einigen Jahren, als sich eine Melange aus Esoteriker*innen, Rechtsextremen, Hippies zusammentat, auch damals schon in vielen Orten die Friedensfahne neben der Reichskriegsflagge flatterte. Wie ist das möglich, mag sich eine da fragen? Es kommt halt nicht auf das äußerliche Erscheinungsbild drauf an, ob jemand Ökoklamotten mit gefärbten Dreads, Hipsterkleidung oder militaristisches Tarnoutfit trägt, sondern welche Inhalte sie von sich geben. Und die sind das Gegenteil von dem, was wir als demokratisch, friedens- oder freiheitsfördernd verstehen.
Sie bezeichnen es als alternative Fakten, gespeist aus ihren alternativen Medien. Finden sie dort ihre Belege dafür, wie harmlos das Virus sei. So wie Herr Bhakdi sich oft äußert, den ehemaligen Bundestagskandidaten der Partei „Die Basis“, gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung aufgrund antisemitischer Aussagen eingeleitet wurde? Sind es alternative Medien, die sie als zunächst erklärte Impfgegner zuhauf zu einem AFD Großspender nach Lübeck haben fahren lassen, um sich eine nicht zugelassene Substanz spritzen zu lassen?
Klopf, Klopf, Klopf!!! Hier klopft die Antifa an eure Echokammer, vielleicht sucht ja eine den Exit aus der Filterblase und findet ihn nicht, also bollern wir noch lauter gegen eure fensterlosen digitalen Räume, denn es gibt ihn, den Ausweg aus dem Algorithmus Labyrinth aus Adrenochromstorys, Attila, Ken FM, Breitschuster und wie sie alle heißen…
Aber vielleicht will ja auch niemand von denen „back to live – back to reality“ und deshalb halten wir ihnen einfach den Spiegel vor und verdeutlichen es ihnen anhand ihrer eigenen Worte, warum wir sie für Menschenfeinde halten:
Letzten Montag habe ich die Versammlung der Coronaleugner*innen und Impfverweiger*innen aufgesucht, um zu hören, worüber die Kerzenhaltenden sich so austauschen. Es dauerte nicht lange, da waren auch schon die ersten Schlagworte der gängigen Verschwörungsideologien gefallen. Der Gesprächskreis ereiferte sich zwischen Bestätigung, Selbstvergewisserung und dem Ranking, wer den Plan jetzt am besten durchschaut hätte. Was war aber die Aussage, die mich aufhorchen ließ?
„Es würde aktuell ein Massenmord erfolgen“. Kein Massensterben, die mittlerweile über 110.000 Coronatoten in Deutschland oder über 5 Millionen Coronatoten weltweit waren nicht gemeint. Nicht sterben, sondern morden wurde gesagt. Sie unterstellen also das aktive, grausame, heimtückische Handeln von unbekannter Seite, um eine Menschenmasse zu vernichten. Diese Vorstellung stellt das Fundament jeder Verschwörungsideologie dar. Aber wie kommt es zu dieser Vorstellung?
Die Welt ist ein komplexer Ort. Soziale, politische, ökonomische, ökologische Prozesse befinden sich in steter Dynamik, die auch von Konflikten, Kriegen, Krisen geprägt sind. Schon immer hatten zu Krisenzeiten Verschwörungsideologien Hochkonjunktur, was durch sie erfolgt, ist eine Reduktion von Komplexität. Anhänger*innen von Verschwörungsideologien sind nicht willens oder in der Lage, Ereignissen und Prozessen in ihrer Vielschichtigkeit und auch Widersprüchlichkeit zu begegnen, zu analysieren, strukturell zu denken und sich selbst als handelnder Teil dieser realen Prozesse zu sehen, der durch Selbstermächtigung auch mitgestalten kann.
Stattdessen wird eine Realität konstruiert, eine Welt, in der eine kleine Gruppe von Mächtigen das Geschehen der gesamten Welt lenken würde. Das klassische antisemitische Narrativ. Es wird ihnen auch gleich die Herrschaft über die Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz und zentral natürlich den Medien zugeschrieben, wahlweise auch die beliebige Veränderung des Wetters. Wir Menschen erhalten in diesem Konstrukt die Rolle der manipulierten Fremdgesteuerten. Wichtig hierbei: der Glaube daran, dies alles unterliege einem vorher festgelegten Plan und noch wichtiger: es sei supergeheim, superkonspirativ, im Verborgenen geplant. Aber jetzt seien sie dahintergekommen, hätten den Plan durchschaut und zählen sich zu den Wissenden.
Nun könnte man ja auch einfach darüber lächeln und abwinken, sind doch bloß Spinner, aber Verschwörungsideologien sind nicht harmlos, sondern eine Gefahr für Leib und Leben anderer und in ihrer Konsequenz tödlich. Bezogen auf die Pandemie offenbart die Forderung nach einer „Durchseuchung“ der Gesellschaft ja schon den sozialdarwinistischen Charakter und verdient es, als menschenfeindlich bezeichnet zu werden. Fußen die Aussagen jedoch auf Verschwörungsideologien, dann erhält und entfacht das reaktionäre Denken und Handeln nochmal eine ganz andere Dynamik. Der große Plan, der große Austausch, the great reset, Q Anon, Pizzagate, chemtrails, deep state, NWO, usw. all dies Schlagworte von Verschwörungsideologien, mit denen die Anhänger*innen sich ein Selbstbild geben, sie befänden sich in einer Notwehrlage und müssten nun in selbsternannter Kämpfermanier Widerstand leisten. Das fängt im Kleinen an, auch hier in Lüneburg sind im Stadtbild Holocaustrelativierende, antisemitische und verschwörungsideologische Aufkleber, Flugblätter, Parolen und auch Broschüren von Reichsbürgern aufgetaucht. Auf den ins Netz gestellten Fotos der „Freien Niedersachsen“ kann man zwischen all den Kerzen auch die Zettel lesen, die sie vor Rathäusern und zentralen Orten abgelegt haben. Neben der steten Instrumentalisierung von Kindern war dort auch zu lesen, man solle nicht der Tagesschau glauben, sondern den alternativen Medien und sie seien keine zufriedenen Sklaven, wie all die anderen. Dabei bleibt es meist nicht, denn wir sehen bereits an anderen Orten, wozu sich diese selbst ernannten erweckten berufen fühlen: Fälschen von Gesundheitsdokumenten, Eigenmächtiges Austauschen von Impfstoff gegen Placebos, Drohschreiben und Mordaufrufe gegen ihnen unliebsame Personen, Fackelaufmärsche vor Privatwohnungen, tätliche Übergriffe gegen Mitarbeiter*innen, die auf die Schutzmaßnahmen hinweisen bis hin zu Mord. Alex hieß der junge Mann, der auf seiner Arbeit vor 3 Monaten von einem Coronaleugner in den Kopf geschossen wurde, als er auf die Maskenpflicht hinwies. Der Sturm auf das Capitol vor knapp einem Jahr, die versuchte Stürmung des Reichstages, das Zerstören von über 70 Mobilfunkmasten, die Morde von Halle, Christchurch, Hanau, Utoya, München, Oklahoma City und zu viele weitere Orte gründen sich auf Verschwörungsideologie und dem Selbstbild, sich im Widerstand gegen eine konstruierte Diktatur zu befinden. Eine wissenschaftsfeindliche, antidemokratische Ideologie, in der sich ihre Anhänger*innen legitimiert sehen, andere Menschen abzuwerten bis hin zu vernichten. Deshalb wissen wir, dass eure Parolen von Frieden und Freiheit im Kerzenschein verlogen sind.
Deshalb nennen wir euch Menschenfeinde.
Es gilt an uns, dass wir uns verstärkt mit dem Phänomen, den Wirkungsweisen, der Systematik und den Auswirkungen, den Gefahren von Verschwörungsideologien auseinandersetzen, denn sie werden mit der Pandemie nicht verschwunden sein, sondern sind nur sichtbarer geworden.
Im Gegensatz zu den Kerzenhaltern wollen wir nicht ein Ende der Schutzmaßnahmen, sondern ein Ende der Pandemie. Also bleiben wir weiterhin wachsam, vernunftgeleitet und solidarisch.
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