Welche Rolle spielt das Smartphone auf der Flucht und was passiert mit den Handydaten Geflüchteter im Asylverfahren? Zum Video geht es hier:
https://www.youtube.com/watch?v=k7QKcimEoz4
Wenn geflüchtete Personen bei ihrer Ankunft in Deutschland keinen gültigen Pass vorzeigen können, liest das BAMF routinemäßig und ohne konkrete Verdachtsmomente Daten von ihren Handys und anderen Datenträgern aus, um anhand dieser Identitäts- und Herkunftsangaben zu überprüfen.
Über diesen beispiellosen staatlichen Zugriff auf sensible Daten war lange wenig bekannt. Gemeinsam mit der Journalistin und Informatikerin Anna Biselli veröffentlichtw die Gesellschaft für Freiheitsrechte Ende Dezember 2019 die Studie “Das Smartphone, bitte! Digitalisierung von Migrationskontrolle in Deutschland und Europa”. Im Anschluss daran haben sie die Handydatenauswertung gerichtlich überprüfen lassen und im Mai 2020 Klagen eingereicht.
Im Jahr 2019 überprüfte das BAMF ohne Anlass alte Asylentscheidungen – einschließlich der, mit der Mohammed A. anerkannt wurde. Bei dieser Überprüfung hat das BAMF routinemäßig auch sein Smartphone ausgewertet.
Auf einmal hat der BAMF-Mitarbeiter zu mir gesagt, ich soll mein Handy rausgeben und entsperren. Ich wusste überhaupt nicht, was da genau passiert, man hat mir nichts erklärt. Aber ich hatte Angst, abgeschoben zu werden. Also habe ich ihm das Handy gegeben. Das war, als würde ich mein ganzes Leben über den Tisch reichen.
– Mohammad A., Kläger
Die ursprüngliche, positive Entscheidung im Asylverfahren wurde aufrechterhalten.
Die Handydatenauswertung soll “Asylmissbrauch” verhindern, deckt aber praktisch nie falsche Angaben auf
Menschen, deren Identität nicht festgestellt werden kann, dürfen nicht abgeschoben werden. Zugleich spielen Herkunftsländer eine wichtige Rolle in der Entscheidung über einen Asylantrag. Viele der Menschen, die nach einer Flucht aus ihren Heimatländern in Deutschland ankommen, können aber keinen gültigen Pass vorlegen. In der Annahme, nur so Asylmissbrauch verhindern und Ausreisepflicht durchsetzen zu können hat der Bundestag 2017 die gesetzliche Grundlage für die Handyauslesungen geschaffen.
Tatsächlich zeigt die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage, dass die Durchführung tausender solcher Handydurchsuchungen nur in sehr seltenen Fällen einen Widerspruch den Identitätsangaben aufzeigte, die die Asylsuchenden selbst machten: Im Zeitraum von Januar bis Oktober 2018 wurden nur etwa 30 % der durchgeführten Handydatenauswertungen anschließend überhaupt im Asylverfahren zu Rate gezogen. Das Ergebnis dieser dann verwendeten Berichte wich in nur 2 % der Fälle von den gemachten Angaben ab.
Tiefer Eingriff in die Privatsphäre
Angesichts der umfangreichen, oft sehr intimen Daten, die auf Smartphones gespeichert sind, stellt die Handyauslesung einen besonders tiefen Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen dar. Wegen ihrer Trennung von Heimat, Familie oder Freund*innen spielen Mobiltelefone im Leben geflüchteter Menschen oft eine besonders zentrale Rolle.
Diese Daten werden durch das BAMF in zwei Schritten ausgewertet: Die Daten werden zunächst extrahiert, computergestützt analysiert und das Ergebnis der Auswertung in einem Bericht abgespeichert. Dieser Bericht kann in einem zweiten Schritt durch eine*n Volljurist*in des BAMF freigegeben und im jeweiligen Asylverfahren genutzt werden. Der Bericht umfasst eine Vielzahl persönlicher Daten, dazu zählen Informationen zu den Ländervorwahlen ein- und ausgehender Anrufe, Nachrichten, Kontaktdaten und besuchte Webseiten. Auch wertet das vom BAMF genutzte Programm Lokationsdaten aus und zeigt diese auf einer Landkarte an. Ebenso werden Login-Namen, welche die betroffene Person für verschiedene Apps nutzt, gelistet. Schließlich werden SMS- und Messenger-Nachrichten einer Sprachanalyse unterzogen, welche die verwendete Sprache bzw. den arabischen Dialekt bestimmen soll.
Das BAMF stellt dabei nicht sicher, dass der Kernbereich ihrer Persönlichkeitsrechte geschützt wird, also beispielsweise ein Zugriff auf besonders persönliche Daten unterbleibt. Zwar ist das BAMF rechtlich verpflichtet ist, die Handyauslesung nur als letztes Mittel einzusetzen. So können etwa gezielte Fragen zum Herkunftsland und -ort in der Asylanhörung Zweifel an der Identität mit größerer Gewissheit aufklären. Die Handyauslesung wird aber in aller Regel schon lange vor der Anhörung durchgeführt. Weniger einschneidende Mittel, die das BAMF vor der Handyauslesung einsetzt, sind nicht bekannt.
Große Fehleranfälligkeit der Untersuchungen
Die Handyauslesung ist extrem fehleranfällig. Nur etwa 35 Prozent der Ergebnisse sind brauchbar. So ist etwa bei neuen Handys der Datensatz zu klein, alte Handymodelle werden von dem BAMF-Programm nicht unterstützt und es kommt zu widersprüchlichen Ergebnissen, wenn ein Handy von mehreren Personen genutzt wurde. Die Handyauslesung birgt auch darüber hinaus ein Missbrauchsrisiko. Für Mitarbeiter*innen des BAMF ist es schwierig, die Brauchbarkeit der Ergebnisse einzuschätzen. Auch unbrauchbare Testergebnisse können sie bei der Entscheidung im Asylverfahren beeinflussen und fälschlicherweise Misstrauen wecken.
Intransparentes Verfahren ohne Ergebnisse
ProAsyl, der Deutsche Anwaltverein (DAV) und auch die GFF kritisieren die Intransparenz, mit welcher das BAMF vorgeht. So ist auch nach etlichen Anfragen des Bundestags aber auch von Bürger*innen wenig über die Funktionsweise der Software bekannt, mit der die Datenträger ausgelesen werden. Das Gleiche gilt für die Algorithmen, die zur Auslesung angewandt werden.
Schutz von Grundrechten – auch für Asylsuchende
Die Auslesung der Datenträger von Asylsuchenden durch das BAMF ist in der jetzigen Form verfassungsrechtlich stark zu kritisieren. Das BAMF greift bereits ohne konkrete Verdachtsmomente tief in die Rechte tausender Menschen ein. Den betroffenen Personen bleibt faktisch keine Möglichkeit, diese Maßnahme abzuwehren und den Schutz ihrer persönlichen Daten sicherzustellen. Das steht in keinem Verhältnis dazu, dass das BAMF durch diese Maßnahme nur in sehr wenigen Fällen überhaupt Anhaltspunkte für eine falsch angegebene Identität findet. Im Ergebnis liegt es nahe, dass das BAMF durch sein Vorgehen die Persönlichkeitsrechte einer besonders vulnerablen Personengruppe in eklatanter Weise verletzt.
Die GFF lässt die Auslesung der Handys von Asylsuchenden deshalb gerichtlich überprüfen. Unsere prozessvorbereitende Studie, für die wir gemeinsam mit der Informatikerin und Datenschutzexpertin Anna Biselli recherchierten, wurde maßgeblich vom Digital Freedom Fund unterstützt.
Die GFF reichte die Studie zudem am 15. Mai 2020 beim Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte ein. Dazu hatte die Berichterstatterin über moderne Formen von rassistischer Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz aufgerufen. Die Studienergebnisse fließen in ihren Bericht zu digitalen Technologien und Diskriminierung im Grenzschutz ein, welcher der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorgelegt wird.