Ein Jahr nach dem Konzert vor dem Haus eines Staatsschützers in Hitzacker erweisen sich die Tatvorwürfe gegen die Musiker*innen als unhaltbar.
Die Aktivist*innen fordern eine öffentliche Entschuldigung des Innenministers.
An Pfingsten vor zwei Jahren berichteten sämtliche Medien, von Fokus bis FAZ, wie vermummte Linksautonome angeblich das Haus eines Polizeibeamten erstürmt und seine Familie bedroht hätten. Bebildert waren diese Berichte mit Symbolbildern vermummter und Steine schmeißender „Chaoten“. Politiker wie der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius und Horst Seehofer forderten harte Strafen für die Chaoten.
Audio 13:17 min, 30 MB, mp3
Der Polizeiüberfall von Hitzacker. Hier zum dritten Mal. Damit das nicht so schnell wieder vergessen wird.
https://www.freie-radios.net/89145
Viel Aufregung um ein Straßenkonzert
Bundesinnenminister Seehofer twitterte: „Wenn nun aber Polizeibeamte
und ihre Familien zu Hause angegriffen werden ist eine neue Dimension
von Gewalt erreicht. Menschen, die Gewalt gegen Polizisten und ihre
Familien verüben, sind keine Aktivisten, sondern Straftäter.“
Was war geschehen? Etwa 50 Personen sangen drei Lieder vor dem Haus
des Staatsschutzbeamten Hupp, der seit Jahrzehnten die
Umweltaktivist*innen im Wendland durch aggressives Auftreten,
Observationen und Hausbesuche einschüchterte. Die Musiker*innen wurden
unmittelbar nach ihrem Konzert von einer behelmten und bewaffneten
Polizeieinheit zu Boden geprügelt, teilweise mit Kabelbindern gefesselt
und bis in die Morgenstunden in einem Polizeikessel festgehalten. Gegen
alle Festgenommenen wurde u.a. wegen Landfriedensbruch,
Hausfriedensbruch und Nötigung ermittelt – begleitet von einem medialen
Echo, das auf ungeprüften und überzeichneten Polizeimeldungen beruhte
und das Konzert zu einem Schreckensszenario stilisierte.
Die zur Unrecht beschuldigte Sabine F. meint dazu: „Statt polizeiliche
Pressemitteilungen kritisch zu hinterfragen, machen sich die Medien zu
Handlangern einer Polizei, die das Grundgesetz mit Füßen tritt.“
Einstellung der Verfahren durch die Staatsanswaltschaft
Ein Jahr nach den Ereignissen ist aus den Akten der Staatsanwaltschaft
zu entnehmen, dass sämtliche Vorwürfe gegen die Aktivist*innen haltlos
sind. So stellte die Staatsanwaltschaft fest, dass „der Tatbestand des
Hausfriedensbruches nicht durchgreift, weil das Grundstück der Familie
Hupp frei zugänglich war“.
Weiter
heißt es im Bericht der Staatsanwaltschaft „Die lauten Tackerschläge
(33 Tackernadeln) beim Anbringen der Wimpel an den Carport stellen
letztlich keine Gewalttätigkeit gegen Sachen oder eine Bedrohung von
Menschen mit einer Gewalttätigkeit im Sinne des § 125 Abs. 1 StGB
(Landfriedensbruch) dar.“
Zum
Vorwurf der Nötigung heißt es: „Ein hinreichender Tatverdacht für eine
versuchte Nötigung lässt sich ebenfalls nicht begründen, weil nicht
auszuschließen ist, dass es sich bei der Aktion „lediglich“ um eine
Protestaktion beziehungsweise „Retourkutsche“ gegen eine unter
Mitwirkung von PHK Hupp ausgebrachte polizeiliche Maßnahme, nämlich die
Beschlagnahme eines YPJ/YPG-Banners in Meuchefitz am 20.02.2018
handelte. Hierfür spricht, so die Staatsanwaltschaft „insbesondere das
Anbringen von YPG/YPJ-Wimpeln am Carport/im Vorgarten PHK Hupps und die
Parole „Hupp, Hupp, Hurra!“. Abschließend heißt es, dass „der
geschädigte Polizeibeamte Hupp oder seine Familie durch die Aktion
jedoch nicht zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen genötigt
werden sollten.“
Nach dieser
Einschätzung der Staatsanwaltschaft ist für Sabine und anderen
Aktivist*innen klar, „wir fordern eine öffentliche Entschuldigung des
Innenministers. Erst hat uns die Polizei verprügelt und dann wurden wir
auch noch von Politikern und Medien verleumdet.“
Zur Vorgeschichte
Schon bei der von der Staatsanwaltschaft erwähnten Polizeimaßnahme
wurde versucht die linke Szene im Landkreis zu kriminalisieren. Im
Februar 2018 wurde ein Banner, dass am Gasthof in Meuchefitz angebracht
war („Afrin halte durch!“ zur Zeit der türkischen Angriffe auf
kurdische Siedlungsgebiete) von einer teilweise mit Maschinengewehren
bewaffneten Hundertschaft beschlagnahmt. Dabei wurde ein 129a-Verfahren
gegen eine im Gasthof gemeldete Person eingeleitet. Mit Hilfe dieses
Paragraphens erhält die Polizei besonders weitreichende Befugnisse für
die Verletzung der Privatsphäre der betroffenen Person und deren
Umfeld. Auch dieses Verfahren wurde bereits vor längerer Zeit
eingestellt.
Schluss mit Polizeigewalt
Im Kontrast zu diesen Sachverhalten fährt die Polizei in diesem Jahr
zur kulturellen Landpartie überzogen repressive Maßnahmen auf. So
bewegen sich ständig zahlreiche Polizeikonvois durch den Landkreis und
kontrollieren scheinbar willkürlich Personen und Fahrzeuge. Insbesondere
rund um den Gasthof Meuchefitz ist die Polizeipräsenz besonders hoch.
Auch hier berichtet die lokale Elbe-Jeetzel-Zeitung von den
schrecklichen Gewalttaten, die in den letzten Jahren vorgefallen sein
sollen, und legitimiert damit einmal mehr ein vollkommen unangemessenes
und absurdes Polizeiaufgebot. All dies passiert, ohne dass es auch nur
den Anschein eines Verdachts gibt.
Die Lächerlichkeit des polizeilichen Vorgehens zeigt sich aktuell, wie
auch in der Akte der Staatanwaltschaft, aus der es in nächster Zeit
weitere pikante Veröffentlichungen geben wird.
Für Sabine wirft das repressive Vorgehen eine grundsätzlich Frage auf:
„Welche Demokratie wollen sie eigentlich schützen, wenn unliebsame
politische Meinungsäußerungen einfach mit stumpfer Polizeigewalt
unterdrückt werden?“
Pressespiegel: http://rak-treffen.de/2018/05/22/pressespiegel-zur-musikalischen-kundgebung-am-18-5-2018/