Platenlaase. Eine Veranstaltung mit dem Titel „Vergewaltigung“ zu überschreiben, scheint mutig, zumindest aus der Sicht von Veranstaltern, die in erster Linie auf ein großes Publikum zielen. Voll war es also nicht, aber durchaus ordentlich besucht. Meist Frauen und eine Handvoll Männer kamen am Donnerstagabend zur Lesung von Mithu M. Sanyal aus ihrem Buch „Vergewaltigung“ ins Café Grenzbereiche in Platenlaase.
Nur, dass sie gar nicht las, sondern engagiert, sehr lebhaft und nicht ohne Humor ihre „Kulturgeschichte der Vergewaltigung“ vortrug. Das war wirklich spannend, wenn auch dermaßen vielfältig, dass ein kleiner Artikel kaum ausreicht, einen halbwegs umfassenden Überblick zu dieser Thema zu geben. Es geht der Autorin unter anderem um unseren Blick auf Rollenbilder und Sexualität im Wandel der Zeiten und auch der Wissenschaft.
Dass der Neandertaler seine Auserwählte an den Haaren in seine Höhle schleifte – ein durch nichts bewiesenes Klischee. Dass weibliche Sexualität in früheren Jahrhunderten geradezu teuflisch darauf zielte, den Mann zu schändlichem Tun zu bringen – allenfalls ein Hilfsmythos um Hexenverbrennungen zu rechtfertigen. Kurz darauf ließ sich der geistreiche Aufklärer Jean Jacques Rousseau in seiner Freizeit gerne von diversen Damen lustvoll den Hintern versohlen. Dass „die Frau“ später ein geradezu asexuelles, braves Heimchen am Herd sein sollte, dessen „Ehre“ durch eigenes Begehren oder eben auch durch Vergewaltigung auf ewig dahin war – ein Machtmittel der männlich dominierten Gesellschaft. Der hochverehrte Sigmund Freud sah übrigens weibliche Sexualität fast nur im Zusammenhang mit Hysterie und gab so dem ganzen verklemmten Weltbild wissenschaftliche Weihen.
Irgendwann fiel dann wirklich der Satz: „Männer sind auch Menschen.“ Wer wollte da widersprechen? Aber Männer sind eben auch, so schreibt sie, Menschen, die – Jungen weinen nicht! – oft nur wenig Empathie für sich selbst aufbringen. Woher sollte also deren Empathie für Frauen und deren Bedürfnisse kommen? Und überhaupt: Bei einer Vergewaltigung geht es eben nicht um Sex, es geht um Macht und Gewalt. Und die wird nicht ausschließlich von Männern ausgeübt und wenn doch, dann häufig von solchen, die tatsächlich während des Aktes, nun ja, „versagen“.
Die andere Seite der Medaille: Vergewaltigte sind Opfer, und zwar lebenslang. Wenn diese aber irgendwann einfach wieder „normal“ leben wollen, wie etwa Natascha Kampusch, die mit zehn Jahren entführt und jahrelang missbraucht wurde, dann wird sie von braven Bürgern auf offener Straße beschimpft und buchstäblich mit Dreck beworfen.
Damit sind wir bei einer Kernthese von Mithu Melanie San-yals Buch angekommen. Die Gefahr und die Opfer, das sind immer „die Anderen“. Wer diese „Anderen“ sind, hängt von vielen gesellschaftlichen Faktoren ab. Zur Zeit sind es eben Nordafrikaner, oder besser die, die so aussehen. Frauen sollen sich „vorsehen“ und Männer sich zusammenreißen. Und wenn es klemmt, dann gibt’s immer noch Prostituierte. Alles gut? Natürlich nicht. Wir, Männer und Frauen, müssen reden und zuhören lernen.
Dabei könnte das Buch von Mithu Melanie Sanyal helfen. Es ist in der Edition Nautilus erschienen.
gefunden ejz vom 11.2.2017