Ethnische Diskriminierungen verbietet das Grundgesetz. Warum sind Fälle von Racial Profiling im Polizeialltag dennoch so schwer zu bewerten? Und worum geht es genau?
Nicht erst seit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die geplante Studie zum sogenannten Racial Profiling abgesagt hat, ist dieses polizeiliche Instrument umstritten.
Und das gleich doppelt: Zum einen ist bereits unklar, was überhaupt unter diesen Begriff zu fassen ist. Zum anderen, was unter welchen Umständen erlaubt ist.
Im Kern geht es darum, dass polizeiliche Maßnahmen – zum Beispiel eine Identitätskontrolle – auf äußere, unveränderliche Merkmale wie die Hautfarbe oder ähnliches gestützt werden. Und wie das mit Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes vereinbar sein soll, in dem es – unter anderem – heißt, dass „niemand“ wegen „seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache“ oder „seiner Heimat und Herkunft“ benachteiligt oder bevorzugt werden darf.
Doch was bedeutet das konkret?
Die Bundesregierung will bereits die Begriffe Racial oder Ethnic Profiling nur gelten lassen, wenn die Polizei hoheitliche Maßnahmen „alleine aufgrund von äußeren Erscheinungsmerkmalen von Personen“ einleitet. Das decke sich mit der Definition des UN-Ausschusses zur Eliminierung von Rassendiskriminierung. Eine solche alleinige Anknüpfung wäre laut Bundesregierung „mit dem geltenden deutschen Recht unvereinbar“ und werde jedenfalls von der Bundespolizei nicht angewandt, heißt es bereits in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Dezember 2012.
Begrifflich und rechtlich tut sich eine Grauzone auf
„Autoren aus den Umfeld der Polizei übernehmen diese Sichtweise und sichern damit die behördeninterne Lehrmeinung ab“, schrieb der Lübecker Kriminaloberkommissar Martin Herrnkind 2014 in einem Fachartikel, und machte gleich deutlich, was das in der Praxis bedeutet: „Blickt ein Bahnreisender mit dunkler Hautfarbe gegenüber einem Bundespolizisten scheinbar verlegen zur Seite, trägt abgetragene Kleidung und hat größeres Gepäck dabei, so kämen gewichtigere Verdachtsmomente hinzu. Die Hautfarbe wäre nach dieser Lesart nicht mehr das ausschlaggebende Kriterium.“
Nach einem weiteren Verständnis wäre es indes auch schon Racial oder Ethnic Profiling, wenn die Hautfarbe oder ein sonst fremdländisches Aussehen eines von mehreren Kriterien ist, auf das die Polizisten ihre Ermittlungsmaßnahme stützen.
Doch nicht nur begrifflich, auch rechtlich tut sich zwischen zulässigem Criminal Profiling und unzulässigem Racial Profiling eine Grauzone auf.
So wie bei dem jungen Mann, der im November 2013 gegen 22.00 Uhr am Bahnhof Bochum seine Freundin vom Zug abholen wollte. Keine große Sache. Eigentlich. Doch nach kurzer Zeit wurde er von patrouillierenden Bundespolizisten angesprochen und um seinen Ausweis gebeten – mit der Begründung, dass er sich illegal in Deutschland aufhalten könnte. Aus Sicht der Polizisten hatte er dadurch Argwohn erregt, dass er sich beim Betreten der Bahnhofshalle seine Kapuze über den Kopf zog und sich hinter einen Aufzugsschacht stellte, als ob er sich ihrer Aufmerksamkeit entziehen wollte. Und er war schwarz. Auch als die Polizisten feststellen konnten, dass der Mann Ruhrdeutsch sprach, bestanden sie auf Prüfung seines Personalausweises. Der Kontrollierte – ein Deutscher – fühlte sich indes aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert, verlangte im Gegenzug die Dienstausweise der Beamten zu sehen – und zog vor Gericht.
Die Polizei reichte eine Reihe von Begründungen nach
Im Klageverfahren reichte die Bundespolizei dann plötzlich eine ganze Reihe von Begründungen nach: Dass es im Bochumer Bahnhof zu Eigentums- und Drogendelikten käme, wobei die Täter nach polizeilicher Erfahrung oftmals dunkelhäutige Männer zwischen 20 und 30 Jahren seien; außerdem habe die Gefahr islamistischen Terrors bestanden und es gebe dort eine Salafistenszene. Zu all dem habe das äußere Erscheinungsbild des Klägers gepasst.
Drogenkontrolle am Frankfurter Hauptbahnhof (2016): „Auffälliges Verhalten kann man jedem nachsagen“ Foto: Boris Roessler/ picture alliance / Boris Roessler/dpa
Das Oberverwaltungsgericht Münster stellte im August 2018 fest, auch die bloße „Berücksichtigung der Hautfarbe innerhalb eines Motivbündels“ sei eine nach dem Grundgesetz „grundsätzlich verbotene Differenzierung“. Eine solche Anknüpfung an ein „verpöntes Merkmal“ könne aber, wenn es um den Schutz anderer, hochrangiger Verfassungsgüter gehe, „ausnahmsweise“ und nach einer „strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung“ gerechtfertigt sein. Allerdings sei dafür dann die Polizei beweispflichtig. Im Ergebnis sahen die Münsteraner Richter das in dem Bochumer Fall nicht als gegeben an – und gaben deshalb dem Kläger Recht.
Dinge, die bei Weißen nicht ins Gewicht fallen würden
Mit dieser Begründung, sagt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der den Kläger vertreten hat, mache das OVG Münster „die Tür auf für kriminalistische Leitbilder, die einhergehen mit einer eigentlich verbotenen Differenzierung“. Adam will solche gemischten Begründungen ohnehin nicht gelten lassen: „Auffälliges Verhalten kann man jedem nachsagen“ – das seien dann aber „Dinge, die bei einem weißen Menschen im Zweifel gar nicht ins Gewicht fallen würden, bei einem Schwarzen dagegen schon“.
Immerhin hatte zwei Jahre zuvor das Oberverwaltungsgericht Koblenz im Fall einer schwarzen Familie, die sich bei einem Tagesausflug mit dem Zug einer „verdachtsunabhängigen Kontrolle“ durch die Bundespolizei zur „Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise“ stellen musste, noch strenger geurteilt. „Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot“ des Grundgesetzes liege bereits dann vor „wenn bei einem Motivbündel ein unzulässiges Differenzierungsmerkmal ein tragendes Kriterium unter mehreren gewesen ist“. An ein äußeres Merkmal wie die Hautfarbe anknüpfen dürfe man deshalb nur bei einer „unmittelbaren Fahndung“, verlangt Anwalt Adam. Also etwa, wenn ein Opfer einen Täter konkret als mit schwarzer Hautfarbe beschreibe.
Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), hält Kriterien wie die Hautfarbe und andere Merkmale des äußeren Erscheinungsbildes dagegen für „selbstverständlich zulässige Aspekte der alltäglichen kriminalistischen Verdachtsschöpfung“. Zudem sei zu berücksichtigen, „dass bestimmte Delikte oder spezielle Tatbegehungsweisen von Tätergruppen aus bestimmten Destinationen begangen werden“.
Ein alleiniges Anknüpfen an solche Merkmale sei jedoch nicht nur rechtlich unzulässig, sondern auch unprofessionell. Es sei aber logisch und geboten, „dass wir nach einer Geldautomatensprengung nicht nur auf bestimmte hochmotorige Fahrzeuge achten, sondern auch besonders nach nordafrikanischen Einwanderern in die Niederlande suchen“, sagt Fiedler. „Neben Fahrzeug, Ort, Zeit, Alter und Geschlecht und auffälligem Verhalten ist hier also auch eine bestimmte ethnische Herkunft ein Anhaltspunkt von vielen für die Polizei.“
Dennoch solle man sich laut Fiedler der Diskussion um Racial Profiling stellen; vieles könne erklärt und entschärft werden. Dass Seehofer die vom BDK schon im vergangenen Jahr geforderte und zunächst geplante Studie zu Einstellungsmustern bei der Polizei absagte, hält der BDK für eine „verpasste Chance“. Letztlich ginge es doch nur um das wissenschaftliche Erforschen von Vorurteilen. „Diese dürfen für Polizisten nicht handlungsleitend sein“, sagt Fiedler. Wenn es sie geben sollte, müssten und könnten sie abgebaut werden.
Quelle https://www.spiegel.de/panorama/justiz/racial-profiling-aufgrund-der-hautfarbe-verpoentes-merkmal-a-4606744d-e1f7-469c-b998-1da90b2d68ba