Splitter der Dissonanz
“Liewer düd aß Slaawe”
Pandemie Magie
In jedem Berliner Park eine Wanne. Die Besatzungen beäugen misstraulisch jede Aktivität Derjenigen, die sich in die Frühlingssonne gewagt haben. Drei Fußball spielende Kinder sind ein Grund einzuschreiten. Wir haben schon vor Jahren gelernt, ab Drei ist man eine terroristische Vereinigung. Nun also auch die Kinder. Völlig willkürliche Größenordnungen werden verkündet und durchgesetzt. Wir erinnern uns, noch vor ein paar Wochen versammelten sich Zehntausende in den Fußballstadien, da waren schon Tausende in China an dem Virus gestorben, der jetzt als Begründung für jegliche Absurdität des Pandemie Ausnahmezustandes herhalten muss. Drei Kinder sind eine Gefahr, fünfzig Menschen in einen S Bahn Waggon auf dem Weg zu gesellschaftlich unsinniger Arbeit sind kein Problem.
Überhaupt, diese Magie der Zahlen, wie von Zauberhand verändern sich fast täglich die Bezugsgrössen. Zuerst wurden alle Versammlungen über 1000 Menschen verboten, dann alle über 100. Und natürlich betraf dies auch alle Demonstrationen. Dabei hätte man sich die Mühe sparen könne, eine in Ohnmacht und Unterwerfung geübte deutsche Linke sagte schon von sich alle Zusammenkünfte, selbst die der harmlosesten Natur ab. Und der kleine Rest, der abweichend davon sich nicht unterwerfen will, dem schickt man dann in Berlin eben die neue Präsenzeinheit in den ‘Nordkiez’ auf den Hals. Aber kommen wir zu der Magie der Zahlen zurück. Kommen wir überhaupt zu der gesamten Magie zurück, die die politische Klasse tagtäglich zu unserer Unterhaltung aus dem Hut zaubert. So als habe sie jahrelang nur für diese Momente der Magie geübt und gelebt. (Spoiler: Sie hat es. Seit Jahrzehnten finden Notstandsübungen unter wechselnden Szenarien statt.)
Tagtäglich werden neue, gestern noch undenkbare Maßnahmen erwogen, in den Ring geworfen und dann nach Gusto verkündet. Manche Grausamkeit raubt einem erst einmal den Atem, selbst hartgesottene BZ Redakteure müssen dann erstmal schlucken. Aus dem Off verkündet die SPD Gesundheitssenatorin auf der Landespressekonferenz, man müsse jetzt eben alle Menschen ab 70 in Quarantäne sperren. Als wären das alles kleine, uneinsichtige Kinder, die nicht begreifen würden, dass man eine heiße Herdplatte nicht anzufassen habe. Wer aber fragt diese Menschen, diese Menschen, denen zum Großteil die Endlichkeit ihres Daseins bewusst ist, ob sie überhaupt zu “ihrer eigenen Sicherheit eingesperrt” werden wollen. Auf unbestimmte Zeit. Denn keiner weiß, wie lange die ganze “Angelegenheit” denn dauern wird. Es ist ein Elend mit diesem Virus, Man weiß so vieles nicht über ihn und den Weg, den er einschlägt und muss aber trotzdem tagtäglich verkünden, was notwendig ist, um ihn zu bekämpfen. Vielleicht also sollte man “alle Alten” (ich bin mir sicher, die Angehörigen der politischen Klasse würden nicht unter diese Quarantäne fallen) für 6 oder 12 Monate einsperren. Oder vielleicht gleich lieber für zwei ganze Jahre, sicher ist sicher. Wenn ich aber nun um die Endlichkeit meines Lebens weiß und die Begrenztheit der Zeit die mir noch bleiben wird, dann soll ich zu meiner Sicherheit in meiner Wohnung vor dem Fernseher darauf warten wer schneller ist, der gewöhnliche Tod oder der Virus…. ?
Die Alten in meinem Haus, und davon gibt es hier reichlich, verschwören sich Übrigens schon. Sie stehen im Treppenhaus zusammen und tuscheln miteinander und letztens sagten mir zwei, die da so scheinbar in aller Unschuld zusammen standen, ganz keck, sie hätten ja Glück dass gerade keine Bullen in der Nähe wären, sonst würde man sie ja jetzt verdächtigen und vielleicht gleich wegsperren. Die Alten in meinem Haus sind nämlich nicht dumm und auf den Kopf gefallen und die wissen ganz genau, was sie tun. Die schlagen sich schon seit Jahren mit dem Vermieter, der Deutsche Wohnen rum. Und treffen sich regelmäßig unten im Erdgeschoss im Gemeinschaftsraum und schreiben Brandbriefe und auch mal an die Medien und gute Anwälte haben sie auch. Ganz ohne linke Agitatoren.
Die soll sich mal warm anziehen, die Tante da von der SPD. Und bei mir steht auch keiner Abends auf dem Balkon und klatscht wie ein Bekloppter, denn so blöde sind die hier nicht. Bis auf einer oder eine. Der oder die hämmert jeden Abend wie im Wahn auf was auch immer ein. Aber das ist der oder die Einzige hier, ich schwöre. Und im unmittelbaren Nahklatschbereich wohnen hier mal locker an die 1000 Leute in meinem Beton Getto. Ich weiß auch nicht, wie sich der oder die hierher verirrt hat.
Ihr merkt schon, diese Sache mit der Magie der Zahlen hat auch schon den Autor ergriffen. Also erstmal damit infiziert machen wir mal weiter. Weltweit lebten vorletztes Jahr an die 38 Millionen Menschen mit einer HIV Infektion, es starben in einem Jahr 770.000 (!!) Menschen an den Folgen von Aids (plus die Dunkelziffer). Über Ein Drittel aller an einer HIV Infektion erkrankten Menschen haben weltweit weiterhin keinen Zugang zu den überlebensnotwendigen Medikamenten.
In Deutschland lebten Ende 2018 rund 87.900 Menschen mit HIV., 71.400 Menschen nahmen HIV-Medikamente. Hierzulande sind 88% der HIV-Infektionen diagnostiziert, 93% der Diagnostizierten erhalten HIV-Medikamente, bei 95% davon ist HIV nicht mehr nachweisbar. Über die Hälfte aller Neuinfektionen mit HIV tritt in Ost-und Südafrika auf.
Über eine dreiviertel Million Menschen sterben also jedes Jahr an einer Erkrankung die mittlerweile mit einer unglaublich hohen Quote nicht nur gut behandelt, sondern geheilt werden kann. Merkt Ihr schon selber, diese Magie der Zahlen, nicht wahr.
Ernstfall – Normalzustand seit langer Zeit
Aber verlassen wir die Magie der Welt der Zahlen und wenden wir uns den Grausamkeiten des Krieges zu. Denn WIR befinden uns im Krieg. Der Feind ist praktisch unsichtbar und kommt wie fast immer aus dem Osten. Deshalb darf jetzt auch die Bundeswehr ran. Ist auch besser so für die Truppe. Immer rumgammeln und dabei zusehen, wie das ganze für teures Geld gekaufte Material auseinanderfällt und nur noch den Schrottwert repräsentiert ist ja auch nicht schön. 15.000 Mann und Frau (mensch gendert jetzt bei der Landesverteidigung) stehen für die Operation ab Anfang April bereit. Müssen nur noch angefordert werden. Schwerpunkte sind u.a. Quarantäneunterbringungen”, Raum- und Objektschutz, Schutz kritischer Infrastrukturen, Unterstützung von Ordnungsdiensten,…
In Meppen haben sie schon mal gut vorgesorgt, dort ist das erste (medial bekannt gewordene, geht davon aus, es gibt noch mehr) Lager für Corona-Quarantäne-Brecher in einer Turnhalle errichtet. Das könnte dann die Bundeswehr bewachen. Und wenn es überhand nehmen sollte mit uneinsichtigen Bewohnern des Empires, die Fußballstadien stehen ja gerade leer.
In Baden Würtemberg (grüner PM) werden jetzt Datensätze von kranken Menschen an die Bullen übergeben. Die gesetzliche Grundlage dafür ist noch nicht ganz klar, aber wen interessieren schon solche Details. Überhaupt unsere Grünen, die mit den netten “Rettet die Bienen Wahlplakaten”. In Thüringen (“rot-rot-grün” regiert) gab es ja nicht nur den martialischen Bulleneinsatz von Hundertschaften in Ganzkörper Overalls gegen eine Handvoll “uneinsichtige Flüchtlinge” in einem Internierungslager, dort war man auch als erstes vorgeprescht und hatte schon vor Wochenfrist bei der Bundeswehr angefragt, ob diese nicht die eingesperrten Flüchtlinge bewachen könne.
Für Obdachlose, Flüchtlinge, “Illlegale”, Treberjugendliche,… gibt es keine finanziellen Ausgleichsprogramme, kein home office. Keinen Beifall vom Balkon. Wer mit der Kohle schon bisher nicht über den Monat kam und sich mit Schwarzarbeit oder sonstige Tricks über Wasser gehalten hat, kann jetzt halt sehen wo er oder sie bleibt. Die Basisversorgung in der psychosozialen Versorgung für Menschen mit psychischen Problemen, Erkrankungen oder Krisen bricht gerade zusammen. Die alten Trinker und Trinker*innen, die bisher nur durch den Tag gekommen sind mit der Aussicht, am Abend mit ein paar Gleichgesinnten ein paar Stunden zusammen sein zu können, hocken jetzt isoliert in der Bude und der Strick baumelt schon von der Decke. Jedes neunte Kind zwischen 6 und 18 ist jetzt schon hierzulande psychisch krank oder leidet unter psychosomatischen Beschwerden. Knapp 10% aller Menschen hierzulande leiden schon unter einer diagnostizierten Depression ( mit einer unglaublich hohen Dunkelziffer). Jeder und jede kann sich ausmalen, was in den kommenden Wochen und Monaten unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes passieren wird.
Unterwerfung, Angst und Rebellion
Ein Mensch, der künstlich zur Welt gebracht werden muss, um zu überleben und die erste Tage seines Lebens im Brutkasten verbringen muss, stirbt, wenn ihn die PflegerInnen nicht alle paar Stunden aus dem Brutkasten holen und ihn liebkost. In diesem Bild ist das ganze Dasein des Menschen enthalten. Wir alle sind Frühchen, unser ganzes Leben lang. Wir sind auf die soziale Spiegelung unseres Selbst angewiesen, auf Begegnung, Austausch, Liebe, Berührung.
Während allerorts die Angst grassiert sich anzustecken, die Panik, gut geschürt und gefüttert, das Denken und Abwägen in Nebel hüllt, sich viele in freiwillige Isolierung begeben und in völliger Unterwerfung nach noch mehr Staat, Repression und Kontrolle rufen, gibt es auch eine Gegenbewegung, die sich langsam zu formieren beginnt.
Die erste Welle dieser Gegenbewegung sind die weltweiten Knastrevolten, die sich mittlerweile über fast alle Kontinente erstrecken. Gleichzeitige Revolten in zwei Dutzend italienischen Knästen (mit über 20 toten Gefangenen), eine Welle der Rebellion auch in den Knästen und Internierungslager für Flüchtlinge in Frankreich, in Kolumbien brennen die Trakte, allein in Bogota sterben dabei über 20 Gefangene. Aufstände auch in Argentinien, auf dem afrikanischen Kontinent,….
In Frankreich, in dem noch wesentlich strengere Ausgangssperren als hier herrschen, kommt es von Anbeginn an zu einer Gegenbewegung in den ärmeren Vierteln, den Vororten. Anfänglich versuchen die Bullen noch die Ausgangssperren mit Repression durchzusetzen, so werden in einem Vorort von Paris innerhalb kürzester Zeit über 1000 Menschen angehalten und mit Bußgeldern belegt, was gleich 10% der landesweit verhängten Bußgelder ausmacht, etliche Menschen werden Opfer von rassistischer Bullengewalt, willkürlich angehalten und misshandelt. Aber jeden Tag brennen Autos, werden Bullen in Hinterhalte gelockt und von großen Gruppen angegriffen. Jetzt gibt es die Anweisung, die Ausgangssperre nicht mehr mit allen Mitteln durchzusetzen, da “man eine weitere Eskalation befürchte”. In Bogota gab es die ersten Corona Riots, mehrere Tausend Menschen rufen “Wir haben Hunger” , es kommt zu Plünderungen. In Palermo kommt es zum Einkauf zum Nulltarif, jetzt sind Bulleneinheiten vor den Supermärkten positioniert.
Nachdem große Teile der weltweiten Linken in den ersten Tagen der sich weltweit ausbreitenden Pandemie sich im Nachbeten der staatlichen Verhaltensregeln übte, #stayhome, tauchen immer mehr Texte auf, die eine dissidente Position beziehen, bezeichnenderweise aus Regionen, die weitaus mehr als die BRD von der Pandemie betroffen sind, wie Frankreich, oder Italien. Aufgabe jetzt wird es sein, Überlegungen zu entwickeln, wie es unter den Bedingungen des entstehenden Pandemie Faschismus möglich ist, die soziale Konfliktualität, die sich mit den Gilets Jaunes und dem Herbst der Aufstände von Beirut über Bagdad bis nach Chile erstreckte, weiter zu schüren. Dies wird nur in Abgrenzung zu jenen Linken möglich sein, die sich derzeit der Krisenlogik des Empires unterordnen, also im Kern systemrelevant sind.
28 Mrz , 2020
Der aufkommende Pandemie Faschismus. Splitter der Dissonanz (dt/english)