Letzten Samstag, den 02.05.2020 fand in Salzwedel eine Kundgebung mit knapp 50 Personen statt. Aufgerufen wurde „für Freiheit und Selbstbestimmung“.
Eine Stunde lang standen die Teilnehmenden auf dem Rathausturmplatz in der Innenstadt, Passant*innen blieben oft neugierig stehen.Während der Kundgebung wurden immer wieder Verschwörungstheorien offen verbreitet und die Tragweite der Corona-Pandemie mehrmals verharmlost.
Ein Grund für uns, sich diese Gruppierung genauer anzusehen.
Durch ähnliche, kleinere Aufrufe in Lüchow vermuteten wir einen Zusammenhang mit den „Nicht ohne uns“ Versammlungen und hatten deshalb einen Text über die Problematiken der momentan stattfindenen Samstagsproteste dabei.
Obwohl die Kundgebung nicht als Teil von „Nicht ohne Uns“ angekündigt war, merkten wir schnell, dass es offentsichtlich Zusammenhänge im Inhalt und Auftreten gibt und beschlossen dadurch, unseren Text (siehe unten) unter den Versammlungsteilnehmenden zu verteilen.
Als eine Person beim offenen Mikro versuchte den Flyertext vorzulesen, bereiteten die Organisator*innen der so sehr vermissten Meinungsfreiheit schnell selbst ein Ende, indem sie der Person den Ton wegdrehten und das Mikro wegnahmen. Vereinzelt wurden wir dann von einigen Teilnehmenden der Kundgebung sehr scharf verbal angegangen.
Wir möchten nun einmal auf Aussagen einiger Redner*innen und verteilter Flugblätter eingehen.
In den Reden der Kundgebung wurde die Pandemie verharmlost und das Tragen von Masken als „nutzlos“ bezeichnet.
Während der Kundgebung wurde öfter an der Glaubwürdigkeit aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesonders vom RKI, gezweifelt. Begründet wurde all das mit oftmals aus dem Zusammenhang gerissenen Aussagen und Studien.
Es ist vollkommen richtig – wie auch Redner*innen der Kundgebung betonten – dass die Altmark nicht stark vom Virus betroffen ist. Dass das aber wohl an den getroffenen Maßnahmen liegt wird ignoriert. Vielleicht sollten wir ja nun aufhören Kondome zu benutzen, weil die Verhütung in den letzten Jahrzehnten funktioniert hat.
Anhand eines auf der Kundgebung viel verteilten Flugblattes, in der von der „Corona-Lüge“ gesprochen wird, zeigt sich schnell: Was als Schutz von Menschenrechten und Grundrechten rüberkommt, ist eigentlich wissenschaftsskeptischer Bullshit, gepaart mit Impfgegnerschaft und dem ausgeprägten Hang zu verschwörungsidelogischen Träumereien. Während den hiesigen „Samstagsprotesten“ forschen Wissenschaftlerinnen und Expertinnen weltweit für einen Impfstoff gegen Covid19, der tausende Menschenleben retten würde.
Die verteilte Verschwörungszeitschrift stellt sich jedoch klar gegen eine Impfung, leugnet die Existenz von SARS-CoV2 und setzt es im nächsten Text mit der Schweinegrippe gleich.
Im gleichen Zusammenhang wird behauptet, Bill Gates wolle Mikrochips in einen Impfstoff einfügen. Klingt absurd – ist es auch, fast schon ein wenig lustig. Lustig wird es dann nicht mehr, wenn man analysiert wozu solche Ideen führen können.
Impfgegnerschaft dient im Internet seit langem als eine Art thematisches „Einlasstor“ für allen möglichen Verschwörungstheorien.
Auf der Suche nach etwaigen Nebenwirkungen von Impfungen kommt man schnell auf Seiten, die angeblich neutral informieren würden, auf denen jedoch Quellenverweise und wissenschaftliche Grundregeln bewusst weggelassen werden.
Der Haupteffekt: Interessierte suchen sich im Internet Informationen, die in ihr Weltbild passen und eliminieren dabei alles was nicht ins eigene passt. Alles was jenseits vom eigenen Weltbild liegt wird als manipuliert und verlogen ausgelegt. Als Resultat ergibt sich eine fatale Analyse der Sachlage, die nicht Herrschaft als Ganzes hinterfragt sondern lediglich ,,die da oben“ austauschen will. Letztendlich wird bei Verschwörungstheorien oft ein Feindbild stilisiert, im jetzigen Fall ist es die „totalitäre Bundesregierung“ das RKI, Christian Drosten, die WHO, Bill Gates. Für aktuelle gesellschaftliche Misstände werden einzelne zur Veranwortung gezogen und nicht die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft hinterfragt. Im momentanen Zusammenhang führt das zur Verharmlosung des Viruses und somit zur Verharmlosung der Todesopfer und des Leidens der Erkrankten.
Kritisiert wird auf einigen Samstagsprotesten auch – manchmal mehr, selten weniger verkürzt – die momentan geltenden und im Raum stehenden Gesetzesänderungen und das damit verbundene harte Durchgreifen der staatlichen Repressionsorgane. Diesen Ansatz können wir noch am ehesten nachvollziehen, in Salzwedel wurde dies jedoch nicht wirklich angesprochen.
Wir finden: Corona bietet genug Anlässe, grundlegende und unbedingt notwendige Kritk an staatlichen Handlungsweisen und kapitalistischen Dynamiken auf die Straße zu tragen.
Wenn Krisenbewältigung auf nationaler Ebende stattfindet oder wenn ein „Wir“ erzeugt wird, welches klar durch Staatsgrenzen beschränkt wird, ist das fernab von jeder Solidarität und erfordert Protest!
Wenn in einer eh schon menschenfeindlichen Lage in den Flüchtendencamps an der griechischen Grenze durch Covid19 eine humanitäre Katastrophe droht, erfordert das Protest!
Wenn wir in einem System leben, welches es nicht einmal schafft eben doch lebensnotwendige Atemschutzmasken ohne einen Preisanstieg von 3000%[1] für alle Menschen zur Verfügung zu stellen, erfordert das Protest und die Forderung nach Gesellschaftmodellen, die nach unseren Bedürfnissen ausgerichtet sind und nicht nach dem größten Profit.
Wir fordern eine Kritik, die frei von jedem verschwörungsidelogischen Brei und antisemitischen Ressentiments ist. Kritik an den teilweise autoritären Maßnahmen der Bundesregierung ist notwendig, besonders jetzt. Wer aber in Salzwedel zusammen „Wir sind das Volk“ ruft und mit Antisemitinnen und Alukugelträgerinnen auf die Straßen geht, kann sich des Widerstandes antifaschistischer Strukturen gewiss sein.
[1] https://www.businessinsider.de/wirtschaft/verbraucher/jeder-versucht-sich-zu-bereichern-drastischer-preisanstieg-bei-atemschutzmasken-lockt-betrueger-auf-den-markt/