Afghanischen Flüchtlinge in Lüchow-Dannenberg droht Abschiebung

154-mal Leben im Nebel

bp Lüchow. In Deutschland droht ihm die Abschiebung, in Afghanistan die Hinrichtung. Nur glauben die Behörden dem Familienvater das nicht. Er lebt mit seiner Familie irgendwo in einer Lüchow-Dannenberger Wohnung.

Man muss es sich als ein Leben in Angst vorstellen. Als ein Dasein, das trotz des äußeren Friedens in einem Land, das man sich als Paradies gedacht hatte, von Zerrissenheit geprägt ist.

Persisch ist eine bilderreiche Sprache. Das hilft, Unaussprechliches auszudrücken. „Ich gehe wie durch einen Nebel“, sagt die jugendliche Tochter. Hinter der Familie liegen Flucht, Ruhelosigkeit und Traumata, die man nicht mehr sehen will und vielleicht auch nicht mehr sehen kann, weil die Seele die Erinnerung bestaubt hat, um Unerträgliches auszuhalten.Doch schaut die Familie nach vorne, dann ist da auch nicht mehr zu sehen als ein Schritt weit Boden vor den Füßen. Und was kommt dahinter? Es droht der Abgrund, es droht die Abschiebung.

So geht es 154 Afghanen, die laut Kreisverwaltung in Lüchow-Dannenberg leben. Bisher ist keiner von ihnen abgeschoben worden. Vielleicht auch, weil die Abschiebungen in das Land, von dem die deutschen Behörden Teile als sicher einstufen, nach dem Anschlag auf die deutsche Botschaft derzeit ausgesetzt sind. Aber das kann sich ändern.

Dass die Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angesichts der komplexen Fluchtursachen wesentlich zu oberflächlich seien, kritisiert Pari Niemann, die sich für viele Flüchtlinge in Lüchow-Dannenberg einsetzt. „Die Menschen wissen oft gar nicht, was bei einer Anhörung wichtig ist und worauf es ankommt“, sagt sie. Dadurch kämen entscheidende Details, die für die Entscheidung relevant wären, gar nicht zur Sprache. „Jahrelang Unausgesprochenes, Traumatisches soll plötzlich auf den Tisch, das funktioniert nicht“, ist Niemanns Erfahrung. Und überhaupt: Sie hat den Eindruck, dass beim BAMF die Individualität der Menschen hinter Aktenbergen verschwinde.

Nur so kann sie sich erklären, dass die Behörde den Asylantrag des Vaters – samt Frau und minderjähriger Kinder – abgelehnt hat. Eine deutsche Frau, die sich intensiv und seit Jahren um die Familie kümmert, drückt es schärfer aus: „Ich schäme mich für mein Land, das solche Entscheidungen trifft.“

Und auch der Vater, der immer wieder betont, dass er dankbar sei, in Deutschland sicher zu sein, kann das Votum der Behörde nicht nachvollziehen: „Wir können nicht verstehen, dass die deutsche Regierung so mit uns Afghanen umgeht.“ Er will nicht, dass seine Geschichte detailliert in der Zeitung steht, um nicht identifizierbar zu sein. Er berichtet, seine Familie sei von Clans ausgelöscht worden, er selbst nur knapp der Hinrichtung entkommen. Er sei nicht aus wirtschaftlichen Gründen geflohen – habe einen Laden geführt -, sondern weil er um sein Leben und das seiner Familie gefürchtet habe. Viel Schönes habe er in seinem Leben nicht erlebt. Dafür reichlich Arbeit, Angst und Unsicherheit. Seit Jahrzehnten fühle er sich so, als könne der Boden unter ihm jederzeit brechen: „Aber jetzt fühlt er sich so dünn an wie seit Langem nicht.“

Dass das BAMF die Geschichte nicht für glaubhaft hält, schmerzt die Familie. Sie soll innerhalb von 30 Tagen das Land verlassen, steht in der Nachricht der Behörde. „Eine Schande“, sagt die Deutsche, die sich um die Familie kümmert. Es kränke sie, dass die Willkommens- in eine Ablehnungskultur umgeschlagen sei. Dass es keine dauerhafte Ruhe und Sicherheit für seine Kinder geben soll, lässt den Eltern keine Ruhe. Sie haben Klage gegen die Behördenentscheidung eingelegt. Bis es zur Verhandlung kommt, können eineinhalb Jahre vergehen. Die Familie hofft ihre Geschichte vor dem Verwaltungsgericht detaillierter beschreiben zu können. „Ist es denn falsch, sich ein Leben ohne Angst zu wünschen?“, fragt der Vater.

Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat fordert, das Auswärtige Amt müsse die Sicherheitslage in Afghanistan neu bewerten. Die geltende Einschätzung sei „geschönt“. Deshalb müsse die Verfolgungslage neu bewertet und müssten abgelehnte Entscheide geprüft werden. Noch vor zwei Jahren habe das Auswärtige Amt die Verhältnisse in dem Land realistisch beschrieben. Damals hatte es geheißen, die Justiz funktioniere „nur sehr eingeschränkt“, die Regierungsführung sei mangelhaft und korrupt, „diskriminierende Praktiken“ gegen Frauen seien verbreitet. Aus Webers Sicht hat sich daran nichts geändert.

Zum Abschied sagt die Tochter in gutem Deutsch, was sie am meisten schmerzt: „Dass ich etwas tun will für die Gesellschaft und das abgelehnt wird.“

gefunden: ejz (06.07.2017)