Seit Anfang des Jahres häufen sich in Salzwedel die Aktivitäten der rechten Szene.
Salzwedel l In einer Chronologie von Übergriffen zählen die Verfasser rechte Übergriffe auf und kommen zu dem Schluss, dass die Aktivitäten der rechten Szene seit Jahresbeginn massiv zugenommen haben. Eine Besucherin des Autonomen Zentrums an der Altperverstraße spricht von einem neuen Ausmaß der Gewalt und deren psychologischer Wirkung auf Betroffene. Die Mobile Beratung für Betroffene rechter Gewalt fordert angesichts „einer Vielzahl enthemmter rechter Angriffe und Drohungen Solidarität mit den meist sehr jungen Betroffenen“. Auch die Polizei stellt ein Ansteigen der Aktivitäten fest – sowohl auf rechter als auch auf linker Seite.
Auftakt zur Serie der rechten Gewalttaten im Jahr 2016 war laut Chronologie ein Brandanschlag in der Nacht vom 11. zum 12. Januar auf das Autonome Zentrum an der Altperverstraße. Dabei fing eine am Fenster angebrachte Fahne Feuer und zog die Fassade des Gebäudes in Mitleidenschaft. Ein Teil des Brandsatzes ist durch ein Fenster ins Innere des Gebäudes geflogen. Nur mit Glück hat sich dort das Feuer nicht ausgebreitet.
„Es geht den Tätern darum, den Betroffenen das Leben zur Hölle zu machen.“ Besucherin des Autonomen Zentrums
Es folgte am 30. Januar die nächste schwere Straftat. Rechte schlugen brutal mit Baseballschlägern auf einen damals 21-Jährigen jungen Mann aus dem Raum Klötze ein, der mit Fingerbrüchen und schwerer Kopfverletzung im Salzwedeler Krankenhaus behandelt werden musste. Bei der Tat identifizierte eine Zeugin einen stadtbekannten Nazi. Offenbar hatten die Täter ihr Opfer verwechselt. Der junge Mann ist politisch nicht aktiv oder engagiert. Nach Volksstimme-Informationen galt die Attacke einem Antifaschisten aus Salzwedel. Die Tat sorgte für überregionales Aufsehen und versetzte nicht nur die Mitarbeiter der Mobilen Beratung für Opfer rechter Gewalt in Alarmbereitschaft.
„Die stark angestiegene Intensität der rechten Gewalt durch eine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener macht eine Solidarisierung mit den Betroffenen umso notwendiger. Die rechten Angreifer gehen teils bewaffnet vor. Gewalt und massive Drohungen treffen Personen, die sich mit Geflüchteten solidarisieren oder sich gegen Faschismus aussprechen und deren Angehörige ebenso wie sich als unpolitisch verstehende Personen, die sich einfach nur kritisch gegenüber dem brutalen Vorgehen dieser Gruppe äußern.“
Ein Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus rechnet den vermeintlichen Haupttäter des Baseballschläger-Angriffs, der gemeinsam mit seinem Umfeld auch an vielen anderen Angriffen beteiligt gewesen sein soll, einer Personengruppe von Neonazis zu, die auch überregional zu Aufmärschen fahren.
Brennender Pkw
Knapp einen Monat später, am 24. Februar, brannte dann ein an der Max-Adler-Straße in Salzwedel abgestellter Pkw. Der Wagen gehörte dem identifizierten Angreifer vom 30. Januar. Die Polizei ermittelte Brandstiftung als Ursache. Schuldige konnten die Beamten bisher nicht fassen. „Das Ermittlungsverfahren läuft derzeit noch“, erklärte Polizeisprecher Gerd Schönfeld auf Nachfrage der Volksstimme.
Neben den Anschlägen und Angriffen – vornehmlich auf Personen der linken Szene – häufen sich seit dem ersten Quartal 2016 gezielte Drohungen gegen Jugendliche, die sich lediglich von rechten Gedankengut distanzieren, stellt das Team der Mobilen Beratung für Opfer Rechter Gewalt eine Ausweitung der Betroffenengruppe fest: „Wenn Eltern damit gedroht wird, dass ihren Kindern etwas passiert oder Jugendlichen suggeriert wird, auch ihre Eltern, Geschwister oder Freunde könnten statt ihnen selbst angegriffen werden, ist das eine enorme und anhaltende Belastung. Ziel dieser Aktionen ist offensichtlich, den öffentlichen Raum zu dominieren und alle Nicht-Rechten, egal ob unpolitisch, alternativ oder links, durch Druck und Gewalt leichter verdrängen zu können. Die Betroffenen haben unterschiedliche Formen des Umgangs damit gefunden. Viele fühlen sich von der Öffentlichkeit mit ihrer schwierigen Situation unverstanden.“
Pfefferspray-Attacke
Diesen Zustand spiegelt auch die Chronologie der Jugendlichen aus dem Autonomen Zentrum wider. Darin sind ab März 2016 Telefonanrufe bei den Eltern vermeintlich Linker verzeichnet, in denen mit Gewalt gedroht wurde. Aber bei den Anrufen im elterlichen Haus sei es nicht geblieben. So soll am 20. Mai eine Feier der Eltern eines Linken im Garten aufgesucht und mit Pfefferspray attackiert worden sein. „Es geht den Tätern darum, den Betroffenen das Leben zur Hölle zu machen“, stellt eine Besucherin des Autonomen Zentrums fest.
Sie und zwei weitere Mitglieder des Autonomen Zentrums machen in dem Gespräch deutlich, dass sie kein Interesse an einem Konflikt mit den Neonazis haben und vielen Personen aus dem Umfeld des Zentrums mit Angst vor physischer und psychischer Gewalt durch die Stadt gehen.
Die Formen aggressiver Präsenz sind Strategien, um Angsträume zu schaffen.“ Mitarbeiterin der Mobilen Opferberatung
„All diese Formen von aggressiver Präsenz und Raumnahme sind Strategien, die Bewegungsfreiheit der Betroffenen einzuschränken und Angsträume zu schaffen“, ist sich eine Mitarbeiterin von der Mobilen Opferberatung sicher. Diese Angsträume seien auch Discotheken, Clubs, Kneipen, Großveranstaltungen wie der Nysmarkt oder das Hansefest, aber auch Schulbusse, Einkaufsmärkte oder einfach öffentliche Plätze wie der Rathausturmplatz.
Die Entstehung und Aufrechterhaltung dieser Angst-räume wird durch die hohe Zahl rechter Delikte und Ereignisse gewährleistet. Die spezialisierte Beratungsstelle registrierte für das Jahr 2016 allein in Salzwedel 35 Ereignisse, die die Betroffenen dem gleichen rechten Personenzusammenhang zuordnen. Darunter sind fünf Körperverletzungen und fünf versuchte Körperverletzungen, zusätzlich ein Raub, neun Todesdrohungen und Drohungen von Gewalt – auch gegen die Familien der Betroffenen – sowie weitere bedrohliche Situationen und verschiedene Delikte und Ereignisse.
Hinzu kommen weitere antilinke und rassistische Straftaten, bei denen die Täter bisher unbekannt blieben. Darunter vier augenscheinlich rassistisch oder antilinks motivierte Körperverletzungen, der Brandanschlag auf das Autonome Zentrum und wiederholte Sachbeschädigungen. „Wenn Betroffene nach dieser Vielzahl an Straftaten und schlechten Erfahrungen mit der Polizei möglicherweise nun das Gefühl hätten, sich und ihre Freunde selber entschlossen schützen zu müssen, wäre dies ein direktes Resultat der zahlreichen und perfiden Angriffe und Drohungen.“
Von Alexander Rekow
gefunden: http://www.volksstimme.de/lokal/salzwedel/bilanz-mehr-angriffe-aus-rechter-szene 22.09.2016