Die neuen Wunderpunkte der Kulturellen Landpartie zwischen Dünsche, Klein Witzeetze und Königshorst

by Lüchow. Rechts ein großes Schlauchboot, in dem noch einige Kleidungsstücke liegen, links eine riesiger schwarzer Maulwurf: An beidem muss vorbei, wer auf den Hof Nummer 6 in Klein Witzeetze will. „KW 6“, so heißt dieser Punkt, ist ein erklärtermaßen „politischer Wunde.r.punkt“. Die Bewohner auf dem Hof verdienen alle ihr Geld im und um den Widerstand, etwa im Gorleben-Archiv, bei der Initiative „ausgestrahlt“ oder auch bei graswurzel tv. Was die Kulturelle Landpartie (KLP) bislang an Politik bot, „reichte uns nicht“, sagt Jan Becker, einer von denen, die dort zu Hause sind. Und so können sich nun die Besucher auf dem großen Hofgelände, an Stelltafeln über all die Themen informieren, die durchaus depressiv machen können: Es geht um Atomkraft und Atommüll, um Flucht, Migration und den Konflikt in Syrien. Sea-Watch, die zivile Seenotrettung, von Flüchtlingen ist dabei, zeigt Fotos und Fundstücke wie das Schlauchboot, aus dem 100 Menschen gerettet wurden. Die Initiative Adopt a Revolution informiert über Zukunftsprojekte in Syrien, ZuFlucht Wendland über das geplante interkulturelle Wohnprojekt in Hitzacker. Es gibt allemal viel zu lesen, die Besucher lassen sich drauf ein, haben Zeit, genießen den Ruhepunkt. Die Kinder können sich auf einem großen Spielplatz austoben, die Einnahmen aus der Gastronomie – „sonst kommen die Leute ja gar nicht“ – gehen an die Projekte. Dazu laufen tagsüber Kurzfilme über Protest und Widerstand, abends politische Filme über den Kampf gegen die Braunkohleverstromung in der Lausitz, über die Folgen von Fukushima oder über den Uranabbau in Afrika, die Filmemacher sind dabei. Heute Abend gibt es das Hörbild „Alles Gesagt?!“, eine Text-Collage aus 15 Jahren Gorleben-Widerstand im Spiegel von Leserbriefen und Anzeigen der Elbe-Jeetzel-Zeitung aus dem Jahr 1992. Weil Widerstand auch Spaß machen kann, soll und muss, haben sie in Klein Witzeetze auch einen „Widerstand-Selfie-Point“ eingerichtet: Wer will, kann seinen Arm in eine Pyramide im Gleisbett stecken und sich fotografieren lassen. Und besonderen Erinnerungscharme – auch für die Einheimischen – hat auch die wiedererweckte Ausstellung über den mutierten Maulwurf, der Ende der 1990er-Jahre die Straßen im Wendland unterhöhlte. Das überdimensionale Tier wurde dafür komplett restauriert.

Mit ganz anderer wendländischer Geschichte beschäftigt sich der neue KLP-Punkt in Dünsche. Dort lebt seit vielen Jahren die Schriftstellerin Karin Nohr. In ihren beiden bei Knaus erschienenen Romanen geht es um Männer und Frauen, um Eifersucht, Verrat und Ehrgeiz. Nun hat sie sich mit dem reichen Sagenschatz des Wendlands beschäftigt, in Joachim Schwebes Standardwerk über Volksglaube und Volksbrauch von Heljägern, Nachzehrern und Draks gelesen. Geistergeschichten zu schreiben ist nun nicht Nohrs Ding, die frühere Psychotherapeutin findet es vielmehr interessant, wie solche Geister und Mythen heute verarbeitet werden. Dazu hat sie über drei junge Leute geschrieben, liest nun täglich in der Scheune ihren Geschichten von drei junge Leuten, die von dienstbaren Geistern und drängenden Mächten umgeben sind, später soll daraus ein Roman werden. Als Aussteller ist der Künstler Manuel Mothes dabei, der Alltagsgegenstände ungewöhnlich miteinander kombiniert, etwa die Nähmaschine mit einem Sägeblatt versieht. So entwickelt das eigentlich Gewöhnliche in neuer Darbietung ein Eigenleben, schärft die Wahrnehmung der Betrachtenden.

In Siemen, fast im Wald, steht das Haus von Werner Kracht. Der schreibt seit 30 Jahren Musiksoftware, also Programme, mit denen andere Leute dann Musik machen können. Einer seiner berühmtesten Kunden ist Hans Zimmer, der oscarprämierte Filmkomponist: „Ohne unsere Programme wäre der aufgeschmissen“. Nun ist die Rente in Sicht, Kracht will weg vom Computer, von Zahlen und wenn-dann-Bedingungen, selbst wieder Musik machen. Unplugged ist die allerdings nicht, „wir spielen sozusagen zum Halbplayback“, vom Computer kommt auch was. Die KLP und ihr offenes Publikum, so seine Erfahrung als bisher Umherfahrender, seien gut für solch besondere Hörerlebnisse, wie er sie am Sonnabend noch einmal bietet. Dann kommt auch der Kölner Jazz-Posaunist Henning Berg mit seinem musikalischen Computerprogramm.

Den Rosenhof in Göttien hat Dieter Schaarschmidt vor einem Jahr gekauft, und Hof und Saal als KLP-Punkt mit alten und neuen Ausstellern wiederbelebt. Dort geht es früh los, um den „Frühstücksengpass“ in diesen KLP-Tagen zu beheben. Zwischen Geschneidertem, Geschmiedetem und Getöpfertem zeigt Schaarschmidt, was man aus Kristallsalz von der Salzhalde in Gorleben alles machen kann. Er möchte nicht nur die Besucher, sondern letztlich die Samtgemeinde Gartow von den touristischen und gesundheitsfördernden Nachnutzungsmöglichkeiten überzeugen. Während die Besucher mit ihm das Salz für die heimische Salzmühle mörsern, beantwortet er ihre Fragen. Eine ist fast immer dabei: „Und das strahlt nicht?“ Dann leistet Schaarschmidt wieder Aufklärungsarbeit.

Entspannung und Heilung ist ein großes Thema. In Prießeck lässt Cerstine Höft einen Hauch von Hawaii schweben, zusammen mit zwei anderen will sie den hawaiianischen Aloa-Spirit öffentlich machen, bietet Hawaiianische Massagekunst, informiert über das Heilungs- und Vergebungritual Ho’oponopono. Es kommen die, die es schon kennen, schätzen und genießen, aber auch die, die davon bisher nur gehört haben, mehr wissen wollen. Zum Ausprobieren bietet die Landpartie überhaupt einen guten Rahmen. Das sagt auch Govinda Nebel, der Yogalehrer, der mit seiner Frau Stella Präker, auch Yogalehrerin, das Yogahaus Ganesha in Königshorst führt. Er bietet täglich eine Yogastunde an und war überrascht, dass sich morgens um 8 Uhr durchaus 30 Menschen zusammenfinden, die Matten mussten eng zusammengeschoben werden. Vor einem Jahr waren bei beiden selbst noch Gäste der KLP, waren begeistert von den offenen und freundlichen Menschen. Nun sind sie selbst als Veranstalter dabei, ihre Mitstreiter sind Yogafreunde, Familie und Nachbarn wie Albert Schalon. Der schmiedet Schönes für den Garten – und freut sich, wie begeistert „die Städter“ von seinen Arbeiten sind.

gefunden: EJZ  11.05.2016