[45 Jahre Gasthof Meuchefitz: „Eine andere Welt ist möglich“]

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Fast ein Jubiläum
45 Jahre Gasthof Meuchefitz: „Eine andere Welt ist möglich“

Der Meuchefitzer Gasthof gilt als Zentrum der linken, alternativen Szene im Wendland – unten Kneipe, oben Tagungsräume und Schlafplatz für Gruppen. Foto: S. Goertz
Foto: Wendland-Archiv, K. Tribiahn
Gasthaus Meuchefitz – Brandruine 1984
Der Gasthof – damals schon Treffpunkt des Anti-Atom-Widerstands – brannte 1984 vollständig nieder. Foto: Wendland-Archiv, K. Tribiahn
Lüchow-Dannenberg
21.08.2025
Profilbild von Sarah Goertz
von: Sarah Goertz
Das Gasthof-Kollektiv im EJZ-Interview

Meuchefitz. Im und rund um den Meuchefitzer Gasthof laufen einige Dinge anders als im restlichen Kreisgebiet – die einen sagen solidarischer, die anderen radikaler. Anders laufen auch die Geburtstagsfeiern des Kollektivs, das den Gasthof betreibt und als Kommune im Dorf lebt: Warum 50. Geburtstag feiern, wenn man auch schon das 45-jährige Bestehen des linken Treffpunkts im Wendland begehen kann? Ein Anlass für die EJZ, mal nachzufragen: Ein Gespräch mit Fin Kuhl und Janne Beseler über Kapitalismus, proppevolle Donnerstagskneipen und Jodeln. Kuhl lebt mit seinem Kind (7) seit zwei Jahren im Meuchefitzer Kollektiv. Der 30-Jährige wuchs im Wendland auf, war dann zehn Jahre „in der Weltgeschichte unterwegs“ und studierte Ökolandbau. Beseler hatte „Lust, an einem Ort zu leben, der politisch in die Region hineinwirkt“. Die 32-Jährige lebt seit fünf Jahren in der Kommune.

EJZ: Wie viele sind Sie gerade?

Janne Beseler: Gemeinsam leben hier acht Menschen und drei Kinder. Im Gasthof arbeiten aktuell vier Personen.

Das sind ja nicht viele, beim Andrang, der am Donnerstag manchmal hier herrscht.

Beseler: Es gibt glücklicherweise ein solidarisches Umfeld, zu dem wir beide auch gehören, die ehrenamtlich immer mal mithelfen.

Welche Themen stehen aktuell oben auf der Agenda?

Fin Kuhl: Gruppenprozesse sind immer Thema. Wir wohnen zusammen, wir teilen unser privates Geld, wir essen zusammen. Wir haben Kinder, die hier rumspringen. 
Was den Gasthof angeht: Dieses Jahr ist ziemlich voll mit Baustellen. Es ist ein riesiges Gelände und wir haben einen ziemlichen Sanierungsstau. Dann gibt es politische Themen. Mich beschäftigt der Rechtsruck – in der Gegend, auch in der Altmark, wo wir viel mit Leuten vom AZ (Autonomes Zentrum Kim Hubert, Anm. d. Red) zu tun haben.

Beseler: Der Gasthof wurde 1980 als neuer Treffpunkt der Anti-Atomkraftbewegung im Landkreis nach der Räumung vom Bohrplatz 1004 in Gorleben gekauft. Es gab hier immer viele Leute, die nicht nur gegen den Atommüll vor ihrer Haustür waren, sondern auch weitergedacht haben. Warum gibt es Atommüll? 
Weil es Atomkraft gibt. Warum gibt es Atomkraft? Weil wir im Kapitalismus leben und das eine Wirtschaftsweise ist, die Mensch und Natur ausbeutet. 
Das ist immer noch unser Fokus. Wir erkennen, dass der Kapitalismus in der Welt viele Probleme mit sich bringt: Ausbeutung und Herrschaftsverhältnisse. Dagegen versuchen wir aktiv zu werden. Also sei es nun Rassismus, Faschismus, Antisemitismus und so weiter.

Haben Sie das Gefühl, dass das gelingt? Was sind Ihre größten Erfolge?

Beseler: Es ist ein Erfolg, dass es seit 45 Jahren die Donnerstagskneipe gibt. Das bringt nach wie vor viel Zusammenhalt. Leute wissen zum Beispiel, wenn sie von einer geplanten Abschiebung erfahren und donnerstags in die Kneipe gehen, dass sie dort Leute finden, die sich zusammentun und etwas dagegen unternehmen.

Kuhl: Es gibt viele Sachen, wo wir sagen, da sind wir dagegen. Aber so, wie wir hier leben und den Gasthof organisieren, versuchen wir auch, Gegenentwürfe in die Tat umzusetzen. Manchmal kommen hier an einem Abend 100 Leute und es klappt, ohne dass ein Chef oder eine Chefin Ansagen macht.


Beseler: Es funktioniert, ohne dass es feste Preise gibt. Die Leute dürfen sich aussuchen, was sie bezahlen. Trotzdem geht es sich immer gut aus.

Kuhl: Das zeigt: Eine andere Welt ist möglich.

War die Mischung an Menschen hier immer schon so divers oder wird das vom Kneipensterben bestärkt?

Beseler: Das war früher noch mehr so. Es gibt eine Handvoll Landwirt/innen, die in der Bäuerlichen Notgemeinschaft organisiert sind und donnerstags immer noch kommen. Die erzählen, dass es früher mehr gewesen sei, als es den aktiven Gorleben-Widerstand noch gab mit einem klaren, gemeinsamen Feind.

Kuhl: Wenn die Pastorin aus Clenze kommt oder der Bürgermeister aus Küsten, das finde ich super. Wir verstecken unsere Haltung ja nicht, aber wir gehen auch nicht rum und hören bei Gesprächen zu. Nur wenn erkennbare Nazis auftauchen, die schmeißen wir raus.

Foto: Wendland-Archiv, K. Tribiahn
Gasthaus Meuchefitz – Brandruine 1984
Der Gasthof – damals schon Treffpunkt des Anti-Atom-Widerstands – brannte 1984 vollständig nieder. Foto: Wendland-Archiv, K. Tribiahn
Erleben Sie Angriffe von rechts?

Beseler: Den letzten tätlichen Angriff auf das Haus gab es in den 1990er-Jahren. 


Kuhl: Wir stellen uns drauf ein, dass es wieder passieren könnte. Es gab jetzt im Frühling so ein neues, rechtes Internet News-Portal „Nius“. 
Die hatten einen Artikel über Antifaschismus auf dem Land und waren offenbar mit dem Auto im Dorf, es gibt Videoaufnahmen vom Gasthof.

Beseler: Dort wird behauptet, dass es Verbindungen gibt zwischen der Gruppe „beherzt“ und Leuten, die bei antifaschistischen Kaffeefahrten zu Häusern von völkischen Siedlern in der Region dabei waren und dass Anwohner/innen aus den Dörfern, in denen völkische Siedler leben, bedroht wurden. Das ist falsch.

Gehen Sie gegen so etwas vor?

Kuhl: Nein. Wir denken, dass eine Welt ohne Herrschaft erstrebenswert ist. Und gleichzeitig rufen wir dann die Gerichte und die Polizei an? Das ist nicht unsere Art.

Beseler: Ich will denen auch gar nicht so viel Raum und so viel Reibungsfläche geben.

Gibt es Pläne für die Zukunft?

Beseler: Am Montag gab es eine Infoveranstaltung zu der Situation in Bure. Das wird das französische Gorleben genannt, weil dort ein riesiges Atommüllendlager gebaut werden soll. Ich denke, das wird in Zukunft weiterhin Thema sein, das hier zu thematisieren und die Leute vor Ort in ihrem Widerstand zu unterstützen.

Haben Sie eine liebste Erinnerung an Ihre Zeit im Kollektiv?

Kuhl: Der letzte Abend von der KLP dieses Jahr, den fand ich richtig gut. 
Nach der wilden Party- und Konzertnacht gab es Sonntag noch zwei Personen, die antifaschistisches Jodeln gemacht haben. Das hatte einen ernsten Hintergrund, trotzdem tat es gut, sich auch mal zum Affen zu machen.

Können Sie jetzt jodeln?

Kuhl: Überhaupt nicht.

Was denken Sie über 45 Jahre Gasthof Meuchefitz?

Kuhl: 
Das ist ein Projekt, das auf vielen Schultern getragen wird. Von den vielen Menschen, die hier schon gelebt haben, und auch von den Leuten aus der Gegend. Wir feiern uns alle.

Man erzählt sich, es habe in der Kommune große Differenzen gegeben – Stichwort Corona – und dass es deswegen große Fluktuation gab. Was ist da dran?

Beseler: Es gab immer mal wieder Situationen, wo die Gruppe sich gar nicht mehr einig wurde und vielleicht auch eine gewisse Anzahl von Leuten tatsächlich gegangen ist. Dass es innerhalb der Gruppe so einen großen Umbruch gab, ist tatsächlich eher einem Generationenwechsel geschuldet. Eine Mitbewohnerin von uns ist zum Beispiel im Januar im Alter von 84 Jahren hier verstorben.

Kuhl: Ich finde nach wie vor gut, dass wir während der Corona-Zeit unserer Haltung treu geblieben sind und der Gasthof geschlossen blieb: Egal, ob man sich impfen will oder nicht, wir wollten keine Ausweise kontrollieren.

Beseler: Es gibt Menschen, die keinen Zugang zu Ausweisen und Dokumenten haben. Die hätte man ausgeschlossen. Dann wäre der Gasthof kein offener Ort mehr gewesen.

Die Historie
Seit 1980 gibt es in Meuchefitz die Donnerstagskneipe als Anlaufpunkt für die Alternativszene im Kreisgebiet. 200 Menschen sollen seither in der Kommune gelebt haben, die den Gasthof kollektiv betreibt. In den Anfangsjahren betrieb man außerdem gemeinsam eine Landwirtschaft. 1984 brannte der Gasthof komplett nieder, ein Kind kam dabei ums Leben. Er wurde in den folgenden zwei Jahren im alten Fachwerkstil neu aufgebaut. Dabei halfen reisende Gesellen und das Handwerkerkollektiv „Axt und Kelle“. Der Gasthof war in der Vergangenheit Ziel polizeilicher Hausdurchsuchungen – zuletzt im Februar 2018. Damals ging es um ein Transparent, auf dem man Solidarität mit einer kurdischen Verteidigungsmiliz in Syrien bekundete. Die linke Szene marschierte anschließend vor dem Privathaus eines als übergriffig empfunden Polizisten in Hitzacker auf.

Quelle
https://www.ejz.de/lokales/45-jahre-gasthof-meuchefitz-andere-welt-moeglich-id449534.html