Linke haben in Krimis häufig ein Repräsentationsproblem, da die
handelnden Personen ja doch meist PolizistInnen oder andere der Polizei
zuarbeitende Knilche sind. Umso erfrischender ist es, einen Krimi mit
linken AkteurInnen zu lesen. „Hinterwald“ von Lissbeth Lutter (eine
Hommage an das kollektive Pseudonym Luther Blisset)
verlegt seine Handlung nach Mittenwald, mittenrein in die linken
Proteste gegen das Gebirgsjägergedenken auf dem Hohen Brendten, bei dem
alljährlich hohe Politiker und aktuelle Bundeswehrfunktionäre Seite an
Seite mit NS-Kriegsverbrechern der Gebirgsjäger eine Gedenkfeier
abhielten.
Der Krimi ist gut geschrieben und liest sich wirklich geschmeidig. Ohne
zu viel zu spoilern: Mehrere Morde, eine lesbische Liebesgeschichte, die
bayrische Polizei in Höchtsform, immer wieder Rückblenden auf
Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger im 2. Weltkrieg und der ganz normale
Mittenwalder Wahnsinn verbinden sich organisch zu einer spannenden
Geschichte. die man einfach amüsiert runterlesen könnte, wenn man nicht
bei den Schilderungen der Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger immer wieder
eine kurze Pause bräuchte. Weil einem schlecht wird, weil man weiß,
dass diese Morde eben keine Fiktion sind. Ebenfalls keine
Fiktion, sondern im Buch meisterhaft authentisch eingefangen ist die
Stimmung während der Proteste in Mittenwald oder besser die Stimmung der
Mittenwalder während der Proteste. Die hasserfüllten Blicke der
EinwohnerInnen, zum Hitlergruß hochgerissene Arme, sobald keine Kameras
in der Nähe waren, wegschauende PolizistInnen…. Wenn man einfach
irgendwann bemerkt, dass es im Alpenidyll mit der NS-Aufarbeitung nicht
allzu weit her ist.
Die kleinen Schwächen des Buches – die Liebesgeschichte wirkt ein bisschen konstruiert, hie und da scheint ein wenig Selbstlob der AktivistInnen durch – verzeiht man dem Buch leicht. Denn ihm kommt das politische Verdienst zu, wiederholt die Aufarbeitung der deutschen Kriegsverbrechen, für die fast niemand ins Gefängnis gegangen ist und für die bis heute keine Entschädigungen bezahlt wurden, auf die Tagesordnung zu setzen. Und nebenbei ist es ein wirklich spannender Krimi.
Und weil es der schönste Klappentext ever ist, sei er hier noch zitiert:
„Der Roman ist spannend und gut geschrieben, das Lokalkolorit
stimmig und den Titel „Hinterwald“ finden wir grandios. Andererseits
polarisiert der Text stark und wir sehen es vertrieblich als sehr
problematisch an, in Bayern mit einem Krimi herauszukommen, in dem die
örtliche Bevölkerung derart schlecht wegkommt.“ Aus dem
Ablehnungsschreiben eines Verlages
Zu kaufen gibt es das Buch (474 Seiten, 20€) leider nicht bei uns im
Shop, sondern direkt beim Verlag oder natürlich bei der Buchhandlung des
Vertrauens.
de Noantri
Vor dem Steintor 131
28203 Bremen
Mail: denoantri@web.de
ISBN: 978-3-943643-13-8
weitere Rezensionen gibts hier
Informationen über die Proteste, die nach einer längeren Pause auch 2019 wieder stattgefunden haben findet ihr hier
oder historisch hier
LinksLesen.de-Kollektiv im August 2019