Phoolan Devi. Königin der Banditen

Wer bist Du, Phoolan Devi?
Claire Fauvel

Phoolan Devi. Königin der Banditen

22 • 30 cm | Hardcover
226 Seiten | € 24,00
ISBN 978-3-903290-22-8
Neuerscheinung – Juni 2020

Niemand konnte Phoolan Devis außergewöhnlichen Lebensweg voraussehen. Sie wurde 1963 in Nordindien in eine sehr niedrige Kaste geboren und von Kindheit an mit Armut, Gewalt und Ungerechtigkeit konfrontiert. Im Alter von 11 Jahren erfolgte die Zwangsheirat mit einem 35-jährigen Mann. Als er sie vergewaltigte, lief sie davon – zurück zu ihren Eltern. Das ganze Dorf verstieß sie jedoch, die Polizei verhaftete sie und missbrauchte sie erneut. Erlösung fand sie erst durch einen Überfall einer Banditenbande, der sie sich anschloss. Von diesem Moment an, bis zu ihrer Wahl in das indische Parlament 1996, hörte sie nicht mehr auf für Gerechtigkeit zu kämpfen und die Schwächsten zu schützen…

Wer bist Du, Phoolan Devi?

Dies ist die unglaubliche Geschichte einer armen Frau, die zur Banditin, und dann von einer Banditin zu einer Abgeord-neten wurde. Bevor ich von ihr spreche, muss ich ein paar Worte zu meinem Vater sagen. Er ist kein Bandit, die Musik und das Schreiben sind seine Sache. Er wurde nie bekannt oder veröffentlicht, er hat allerdings großartige Dinge geschrieben, etwa Banditen, Anarchisten und Terroristen. In diesem Buch sammelte er die Biografien von Gesetzlosen, von Robin Hood, Jaques Mesrine, Billy the Kid, Bonnie und Clyde bis hin zur RAF. Dadurch entdeckte ich vor ein paar Jahren, zwischen zwei legendären Banditen, die Existenz einer gewissen Phoolan Devi. Sie war Inderin und ihre Geschichte hat die Kraft eines modernen und schrecklichen Märchens, wo eine rachsüchtige Prinzessin mit einer Unzahl an fürchterlichen Dämonen konfrontiert ist.Später entdecke ich, dass die Prinzessin, die keine ist, eine Autobiographie geschrieben hat: Ich war die Königin der Banditen (Bastei-Lübbe, 1998). Geschrieben stimmt nicht ganz, diktiert ist präziser, denn die junge Frau war Analpha-betin und nur dank der hartnäckigen Arbeit des Verlegers sind ihre Worte zum ersten Mal protokolliert worden. Auf über 400 Seiten erzählt sie über die Verachtung und die Erniedrigungen, mit denen sie seit ihrer Kindheit konfron-tiert war und die sie zur Revolte geführt haben. Das Buch ist wie ein Schlag ins Gesicht, an den man sich lange erinnert. Diese Geschichte wollte ich als Comic wiedergeben. Ohne dass ich versuchen würde, das Wahre und das Falsche, die Realität und den Mythos voneinander zu trennen, ohne dass ich den Anspruch hätte, einen historischen Zeugenbericht vorzulegen. Indem ich schlicht und einfach ihre Worte benutze, denn sie sind von einer unvergleichlichen Aufrich-tigkeit, manchmal unglaublich heftig, zu anderen Zeitpunk-ten lassen sie eine kindliche Naivität durchscheinen. Denn ihr Leben kann nicht zusammengefasst werden als die x-te Geschichte einer vergewaltigten Frau, die zu den Waffen greift, um sich an ihren Angreifern zu rächen. Phoolan ist vor allem ein kleines Mädchen mit einem angeborenen Sinn für Gerechtigkeit, das nicht versteht, dass man die Traditio-nen benutzt, um sie zu erniedrigen und auszubeuten.Aus einer Beinahe-Sklavin wird eine Rebellin, ein Paria und schließlich eine Banditin. Ihre Transformation ist kein Einzelfall, sondern Teil einer historischen Tradition, die mit jener Region verbunden ist, wo sie aufwächst. Im Cham-bal-Tal, im Norden Indiens, erzählt man sich von Generation zu Generation die Heldentaten der Dacoits, diesen indischen Banditen, die zugleich terrorisieren und faszinieren. Die große Armut der Bevölkerung bringt sie hervor. Die geographische Situation der Region zwischen drei Staaten erlaubt es ihnen, der gesetzlichen Verfolgung zu entfliehen, indem sie die Gerichtshoheit wechseln. Und schließlich sind dort die „kleinen Schluchten“, Felsformationen, die an den amerikanischen Grand Canyon erinnern, ein ideales Versteck.Phoolan ist also die geistige Nachfahrin einer großen Anzahl Gesetzloser, die ihr vorausgingen. Wie Rani Lakshmibai, die Heldin des ersten indischen Unabhängigkeitskrieges, die während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Engländer als Anführerin einer Armee von mehr als 10.000 Männern bekämpfte. Oder auch Paan Singh Tomar, jener berühmte Athlet, der in den 1950er-Jahren etliche Preise gewann und der sich schließlich einer Widerstandsgruppe anschloss, weil der Staat ihm nicht das Land zurückgab, das ihm gestohlen worden war. In der Region gibt es viele Geschichten über blutrünstige Mörder oder moderne Robin Hoods, doch jene von Phoolan Devi hat eine besondere Stellung. Ist es wegen ihrem hitzköpfigen und gutmütigen Charakter oder ist es ihre Jugend, die dazu führte, dass sich ganz Indien leidenschaftlich für ihr Schicksal interessiert, dass die Armen und die Benachteiligten sie wie eine Schwester adoptiert haben? Oder ist es, weil ihre Geschichte mehr als alle anderen das Drama der Unterdrückung der Frauen und der niederen Kasten im zeitgenössischen Indien widerspiegelt?Denn von den Kasten werden wir sprechen müssen. Es ist nämlich schwierig, die Geschichte von Phoolan Devi zu erzählen, ohne über den Streit zwischen den Mallahs und den Thakurs zu sprechen, der sie ihr gesamtes Leben verfolgen wird. Die Gründertexte des Hinduismus untertei-len die indische Gesellschaft in vier Kategorien: Zuoberst in der Hierarchie stehen die Brahmanen (Priester), gefolgt von den Kshatriyas (Krieger), dann den Vaishyas (Händler) und ganz unten in der Pyramide stehen die Shudras (Diener). Diese Hauptgruppen werden ihrerseits wieder in mehr als tausend Gemeinschaften unterteilt. Die Unberührbaren oder Dalits sind die Ausgeschlossenen dieses Systems, sie sind zu den unreinsten Berufen verdammt. Das indische Gesetz verbietet theoretisch jegliche Diskriminierung in Verbindung mit den Kasten, doch im Alltag bestehen die Ungleichheiten fort. Phoolan gehört der Gemeinschaft der Mallahs an, sie sind Bauern und Fischer (Kaste der Shudras). Ein Teil von ihnen arbeitet für die Thakurs (Kaste der Kshatriyas), die manchmal von ihrer höheren Stellung profitieren, um sie auszubeuten. Der Kampf von Phoolan ist also doppelt motiviert: Er ist sowohl gegen die religiöse Ordnung der Kasten, als auch gegen die Macht des Patriarchats gerichtet, welches im ländlichen Indien immer noch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen bestimmt.Die Geschichte von Phoolan Devi ist all das und noch viel mehr. Wie Durga, ihre bevorzugte Göttin, ist sie die Verkörperung der Kraft, des Mutes und der Hartnäckigkeit. Geschickt und gewalttätig vereint sie ganz Indien in all seinen Widersprüchen und Exzessen. Alles in allem ist sie eine wahrhafte Rebellin, mit der Ihr Bekanntschaft schließen werdet. Gute Reise!Claire Fauvel