Rundbrief Solidarische Provinz

Protest lohnt sich! Lager evakuieren jetzt!

Aktionstage in Lüchow

Ab Ende März gab es an vier Samstagen dezentrale Aktionen im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Zentrales Thema war dabei grenzenlose Solidarität mit Geflüchteten und vor allem deren Lage an den EU-Außengrenzen.

Der erste Samstag stand im Zeichen des Internationalen Tages gegen Rassismus am 21.3. Aufgerufen wurde zur „Kundgebung 2.0“: Viele Einzelpersonen oder maixmal zwei Menschen waren mit Transparenten und Schildern präsent, um an die Situation von Geflüchteten an der EU-Außengrenze zu erinnern. Passant*innen konnten beim Einkaufen aus der Distanz lesen, was auf Plakaten und Transparenten gefordert wurde: „Aufnehmen statt sterben lassen! Grenzen auf, Lager evakuieren, Gesundheitsversorgung für alle!“ Es kam zu Austausch in gebotenem Abstand mit den Passant*innen. Die Polizei fuhr mit Streifenwagen herum und beobachtete die Situation. Die Aktion wurde von Vielen als Erfolg gewertet: Auch während die Corona-Pandemie wer es möglich in der Öffentlichkeit politisch zu agieren und wichtige Themen wieder ins Bewusstsein zu rücken.

Am 4.4. wurde zu dezentralem Protest unter dem Motto „Solidarität kennt keine Grenzen“ aufgerufen. Die angekündigte Aktion – die wie oben beschrieben mit 1-2 Personen statt finden sollte und vor allem das Tragen von schriftlichen Botschaften auf Plakaten, Bannern und Kleidung beinhaltete – wurde von der Versammlungsbehörde durch eine Verbotsverfügung untersagt. Mit massiver Härte ging die Polizei im Namen des Infektionsschutzgesetzes gegen Menschen vor, die die politischen Zustände kritisierten. So wurden Menschen, die einzeln mit Einkaufstaschen unterwegs waren genauso angehalten wie Menschen auf Fahrrädern und Menschen, die mit Kindern unterwegs waren. Einer Person wurde mit gewaltvollem Körpereinsatz ein beschriftetes T-Shirt ausgezogen. Es wurden im großen Stile Personalien aufgenommen und mit Bußgeldern wegen angeblicher Ordnungswidrigkeiten gedroht. Immer wieder war es die Polizei, die keinen Abstand hielt und keine Masken trug, dafür aber Gruppenbildung betrieb oder dafür sorgte, dass Passant*innen in großer Zahl stehen blieben. Auch hängende Transparente wurden entfernt mit der Begründung, dass diese Menschentrauben verursachen könnten – absurde Argumentationslinien, die dieser Tage krasse Widersprüche zu Tage treten lassen. Es wurde im Nachgang zu diesem Samstag eine Sammelklage gegen das Versammlungsverbot eingeleitet und Einzelklagen gegen das Verhalten der Polizei.

Um die Einschränkung der Meinungsfreiheit zu problematisieren, gab es darauf folgend an einzelnen Wochentagen eine Art Mahnwache „Speakers Corner“ auf dem Lüchower Marktplatz.

Auch am Samstag den 11.4. wurde wieder zu dezentraler Aktion aufgerufen. Das dringende Bedürfnis, sich für Themen, die kaum mehr eine Nachricht in den Tagesthemen wert sind, die aber eine menschliche und politische Katastrophe darstellen, Gehör zu verschaffen, zog erneut viele Menschen auf die Straße. Auch diese Versammlung wurde offiziell vom Landkreis verboten, das Verbot sollte im Namen des Infektionsschutzgesetzes durchgesetzt werden. Plakate und Schriftzüge mit Bezug zu gesundheitspolitischen Themen und sogenannter Sorgearbeit waren neben dem Thema der grenzenlosen Solidarität zu finden. Wieder war eine Polizeieinheit aus Lüneburg vor Ort, wieder wurden Menschen angehalten, von der Polizei kontrolliert und durchsucht, wieder kam es zu Ansammlungen nur da, wo Polizist*innen sich um Einzelne scharten. Es wurden Platzverweise verhängt und Menschen bis zum Ortsschild eskortiert.

In der darauffolgenden Woche rügte das Verwaltungsgericht Lüneburg das Versammlungsverbot des Landkreises Lüchow-Dannenberg, der dieses dann zurück zog. Die Gewalt und das Fehlverhalten der Polizei lässt sich aber nicht zurücknehmen.

Situation in Salzwedel

Im Landkreis Lüchow-Dannenberg sind alle Geflüchteten dezentral untergebracht. Ganz anders verhält es sich in der Altmark in Sachsen-Anhalt. In der Kreisstadt Salzwedel leben ca. 200 Menschen in zwei Lagern. Aus Magdeburg und Halberstadt sind neue Geflüchtete zugeteilt worden, sodass nun alle Zimmer in der Schillerstraße wieder doppelt belegt sind. Dass Menschen nun wieder in ein Lager zugeteilt werden, ist ungeheuerlich. In einem offenen Brief an den Landrat wurde eine sofortige dezentrale Unterbringung gefordert. Auf diesen Brief gab es keine Antwort. In Zeiten von Abstand und Infektionsschutz werden die Geflüchteten von Ausländerbehörde und Sozialamt weiter drangsaliert. Die Umsetzung der aktuellen Erlasse, wie bspw. Rücknahme der Kürzungen der Asylbewerberleistungen, beobachten wir genau und handeln dann entsprechend. Der Treffpunkt für Geflüchtete und Unterstützer*innen (eXchange) wurde vorerst geschlossen. Der Tausch von Gutscheinen, Beratung und Information geht jedoch jeden Dienstag vor dem Sozialamt und telefonisch weiter.

Was machen Deutschland und Europa

Die Corona Pandemie zeigt das rassistische System noch einmal in aller Deutlichkeit: Eine aushaltbare Quarantäne und Schutz vor Infektion gibt es nur für privilegierte weiße Inländer*innen. In vielen Lagern wie in Halberstadt, Ellwangen und Bremen sehen wir, wie menschenverachtend mit Geflüchteten umgegangen wird. Eine ausreichende Privatsphäre ist generell nicht vorhanden, Infektionsschutz und Abstand sind unmöglich. Bei Quarantäne werden ganze Lagerkomplexe isoliert und eine Ausgangssperre für alle Bewohner*innen verhängt. Bewohner*innen, Flüchtlingsräte und Initiativen versuchen auf die katastrophale Lage aufmerksam zu machen. Auf den juristischen Weg wird gemeinsam mit Betroffenen geklagt. In Leipzig und Dresden ordneten die Verwaltungsgerichte für zwei klagende Personen an, dass diese aus den Lagern ausziehen dürfen.

Die Situation auf den Lagern der griechischen Inseln ist schon seit Jahren unzumutbar. Aktuell halten sich rund 38.500 Geflüchtete auf den griechischen Ägäis-Inseln auf, die im Falle eines Ausbruchs des Corona-Virus keinerlei Schutz haben. Wie auch bei der Seenotrettung schaut der deutsche Staat zu oder fördert sogar aktiv, dass Menschen sterben.

Gerettet werden keine Menschen, sondern das kapitalistische System mit seinen Grenzen. Wie in der Vergangenheit wird das auf dem Rücken anderer Menschen ausgetragen.Diese Themen finden in vielen Medien keinen Widerhall mehr. Alle sollen zu Hause bleiben oder in den Supermärkten konsumieren. Wir wollen die Kritik und den Protest weiter auf die Straßen und ins Netz tragen und unseren Widerspruch gegen diese rassistischen Zustände lauter werden lassen.

Wir fordern:

  • die sofortige Evakuierung aller Menschen aus den überfüllten Lagern an der EU-Außengrenze und ihre Unterbringung in Ländern und Kommunen
  • den sofortigen Stopp der Unterstützung der staatlichen Gewalt an der EU-Außengrenze
  • die bedingungslose Wahrung der Menschenrechte und die Wiederherstellung des Zugangs zu Schutz und Asylverfahren in der Europäischen Union.
  • dezentrale Unterbringung von Menschen aus Erstaufnahmeeinrichtungen, Ankerzentren oder Wohnlagern

Solidarische Provinz Wendland Altmark_Rundbrief_April 2020_online

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