„Jeder Bauer suchte sich seinen Zwangsarbeiter aus“

Dannenberg. Im April 1941 kündigt das Arbeitsamt einen Transport polnischer Arbeiter in Dannenberg an. Abends um 22 Uhr treffen die 100 Mann am Westbahnhof an, werden zum Schützenhaus gebracht und dort an die Bauern verteilt. Und weil das länger dauern kann, wird an diesem Tag mitten im Krieg ausnahmsweise die Polizeistunde bis 2 Uhr verlängert. „Jeder Bauer suchte sich seinen Zwangsarbeiter aus – wie bei der Sklavenverteilung“, kommentierte die Historikerin Elke Meyer-Hoos vom Museum in Wustrow am Dienstag im Dannenberger Rathaus dieses Ereignis.

Die Stadt Dannenberg nimmt sich seit einigen Jahren aktiv der dunklen Kapitel in ihrer Geschichte an, schaut auch genauer hin, was während der NS-Zeit in der Stadt und drumherum passierte. Auch auf diejenigen, die, so Stadtarchivarin Susanne Götting-Nilius, „unfreiwillig in Dannenberg arbeiten mussten“. Den Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen ist die letzte der fünf Gedenkstelen hinter dem Verwaltungsgebäude in der Rosmarienstraße gewidmet, die am Dienstag eingeweiht wurde.

Es waren nicht wenige, die während des Zweiten Weltkriegs in und um Dannenberg eingesetzt waren: Rund 1400 Zwangsarbeiter in Dragahn und rund 800 sowjetische Zwangsarbeiter in Neu Tramm, rund 3000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in der Landwirtschaft. Auch die Dannenberger Handwerker, als „Interessentenschaft“ organisiert, wurden mit Kriegsgefangenen „versorgt“. Meyer-Hoos hat für die Stadt Dannenberg zu diesem Thema geforscht und stellte ihre Ergebnisse am Dienstag vor. Den Blick speziell auf die sowjetischen Kriegsgefangenen und das Lager in Dangenstorf, Dorfstraße 33, richtete Silke Petry von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten.

Weil die Männer an der Front kämpfen, fehlen im Reich Arbeitskräfte. Der Nachschub wird entweder gezielt organisiert und angeworben oder ergibt sich im Laufe des Krieges, weil Gefangene gemacht werden. Aus Stammlagern wie Oerbke oder Fallingbostel werden die Menschen aus Polen, der Sowjetunion, aus Frankreich, Belgien oder auch Italien übers Arbeitsamt weiterverteilt in Gefangenenlagern und Arbeitskommandos, von denen es im Landkreis 103 gab. Die sind eingezäunt, vergittert, bewacht, minimalst ausgestattet. Bezahlt wird bestenfalls ein Viertel des entsprechenden deutschen Lohnes, meist sehr viel weniger – und dann auch noch in einem besonderen Lagergeld, damit die Flucht unmöglich wird. Die sowjetischen Gefangenen stehen bei allem sehr viel schlechter da. Wenn einer stirbt, soll er so kostensparend wie möglich begraben werden. Im Kreis Dannenberg, das steht auf der Stele, kamen mindestens 118 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene um.

Was Elke Meyer-Hoos und Silke Petry in Wort und auch in erschreckenden Bildern boten, ließ ihr Publikum im Alten Rathaus manchmal tief durchatmen. Es fielen viele bekannte Namen – wie die Arbeitgeber Ude, Ziesenitz, Stoedter, Bonatz, Daasch, Gaebel, Westermann, Siems, Lindemann, Claasen, Ordas – und bekannte Orte: Lager gab es nicht nur in Dannenberg, Hitzacker, Dragahn und Tramm, sondern auch in Timmeitz, Breselenz, Lebbien. Meyer-Hoos berichtete vom Lager 1412 in der Dannenberger Marschtorstraße 10 – 12. Ein Ofen wird aufgestellt, Doppelbettstellen gebaut – gegen Geld. Das DRK , geleitet von der Frau des Landrates, organisiert Bettauflagen und Strohsäcke aus Sackleinen. Es gab einen Waschraum, aber, anders als vom Stammlager Fallingbostel gefordert, keine Dusche.

Die örtlichen Handwerker haben Interesse an Zwangsarbeitern mit Berufsausbildung, die Landratsfamilie Dr. Lampe an Haushaltshilfen. Ab 1940 sind die angeworbenen Polen Angehörige eines Feindstaates: „Jeder gesellige Verkehr zwischen den Polen und Deutschen ist verboten … Insbesondere sind die Mahlzeiten getrennt einzunehmen.“ Die Polen tragen ein P auf ihrer Jacke, die Russen ein SU. Auf flüchtige Russen ist gleich zu schießen, alle anderen erhalten erst eine Warnung.

Elke Meyer-Hoos ist weiter auf der Suche nach Zeitzeugen und Fakten. Ihr Bericht wird, wenn er komplett ist, im Archiv in Dannenberg allen Interessierten zur Verfügung stehen.

gefunden 16.2.2017