Neue Rolle für Atomkraft-Kritiker

Energiekonzerne verlieren an Bedeutung als Feindbilder der Gorleben-Gegner

fk Lüchow. Man werde als Gegner der Atomanlagen in Gorleben vielleicht den Zeiten noch hinterhertrauern, in denen man auf der anderen Seite die private Wirtschaft als Betreiber zum Gegner hatte. Mathias Edler von Greenpeace gab dies am Donnerstagabend den Teilnehmern einer Informationsveranstaltung von Bürgerinitiative, Rechtshilfe und Bäuerlicher Notgemeinschaft zu bedenken. Jahrzehntelang waren den Atomkraftgegnern die Energieversorger und der Staat als Block und damit als gemeinsamer Gegenspieler erschienen. Jetzt sollen, wie berichtet, die Anlagen zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle von der Wirtschaft an staatliche Institutionen übergehen, gegen Zahlung von 23 Milliarden Euro. Was das für die „Gorleben“-Gegner bedeutet, darüber diskutierten sie in Lüchow in inzwischen ungewohnt großer Besetzung.

Mit dem Übergang an den Staat fällt alles in eine Hand. Staatliche Stellen sind dann sowohl Betreiber der Anlagen, Zwischen- und Endlager etwa, als auch die Kontrolleure der Betreiber. Das Ergebnis könnte sein, dass die Kriterien für den Umgang mit radioaktivem Material nicht gerade strenger ausfallen würden, lautete eine Vermutung. Von einem „Paradigmenwechsel“ für die Atomkraftgegner sprach der BI-Vorsitzende Martin Donat, von einer neuen Rolle. BI-Pressesprecher Wolfgang Ehmke fand dagegen, es gebe keinen „Paradigmenwechsel“.

Schon immer sei es die Aufgabe der BI gewesen, Kritik zu üben. Es sei nicht ihre Sache, ein bestimmtes Konzept, etwa für die Zwischenlagerung, zu fordern. Donat hatte gemeint, dass die BI jetzt in die Rolle kommen könnte, Antworten geben zu müssen, wo sie bisher Fragen stellt und auf Mängel hinweist. Sollte man sich darauf beschränken, die Mängel in der Vereinbarung anzuprangern, die dem Übergang von der Wirtschaft zum Staat zugrunde liegt, eine Vereinbarung, die nach dem Namen eines der Verhandler von den Atomkraftgegnern inzwischen schon „Trittin-Vertrag“ genannt wird?

Offenkundig geht es bei der Diskussion auch darum, ob man sich damit begnügen kann, den Moralrichter zu geben oder sich auf sachliche Auseinandersetzungen einlassen muss.

Das forderte der Referent des Abends. Der Wissenschaftler Wolfgang Neumann berät die wendländischen Kritiker seit Jahrzehnten. Diesmal ging es um das Zwischenlager. Zwar soll es keine weiteren Castor-Behälter für Gorleben geben. Aber Bestandteil der Vereinbarung ist auch das nicht. Im Gegenteil, noch klagen die Unternehmen gegen die Regelungen für den Ausstieg.

Die neue Suche nach einem Endlager hat Konsequenzen für die Zwischenlagerung. Ihr Zeitraum wird sich mehr als verdoppeln und annähernd 100 Jahre dauern. Die Folgen erläuterte Neumann. Alles, was schon heute kritikwürdig sei, werde bei einem solchen Zeitraum noch viel problematischer. Das Material der Behälter wird durch radioaktive Strahlung einem Alterungsprozess ausgesetzt. Bisher galten Genehmigungszeiträume von 40 Jahren. Zumindest die Deckel der Behälter müssten für einen längeren Zeitraum ausgetauscht werden, weil sie nicht mehr dicht halten. Auch die Hüllrohre könnten „zerbröseln“, Behälter korrodieren.

Eine längere Zwischenlagerzeit bedeute nicht nur Probleme für die Sicherheit der Behälter, sondern für das ganze Lager. Einige Zwischenlager seien nicht geeignet für eine Nachrüstung gegen Terroranschläge oder Flugzeugabstürze, Standards, die inzwischen Gerichte für die Betriebsgenehmigung fordern. Bei anderen ist die Betriebsgenehmigung bereits ausgelaufen. Wie soll die Zwischenlagerung für die nächsten mindestens 40 Jahre aussehen? Soll es ein zentrales Zwischenlager geben? Oder dezentral sieben Standorte? Oder doch in jedem Bundesland, an jedem AKW eines? Die müssten dann jeweils mit einer heißen Zelle, einem hermetischen Raum zum Umladen des radioaktiven Materials versehen sein.

Vieles ist nach dem Abkommen unklar. Wem gehört die Fläche, auf der das Zwischenlager steht? Geht auch die Pilot-Konditionierungsanlage an den Staat? Im Vertrag ist dazu nichts ausgesagt, erklärte Neumann. Die Unsicherheit, ob der Staat die Zahlungen aus den Ansiedlungsverträgen übernimmt, war andernorts bereits Thema. Die Atomkraftgegner beschäftigte es nicht.

gefunden: ejz vom 3.12.2016