Freie Schule Hitzacker widerruft Schulvertrag, weil Vater eine Größe in der rechtsradikalen Szene ist
Hitzacker. Ein führender deutscher Rechtsradikaler hatte kürzlich sein Kind an der Freien Schule in Hitzacker angemeldet. Ein Mensch, der immer wieder Volkstreue beschwört, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, den politischen Kampf um Jugendliche zu führen und der selbst in der rechtsradikalen Partei NPD noch als Rechtsaußen gilt. Ein Mensch, der der Meinung ist, dass an deutschen Schulen eine Umerziehung durch „linke Spießer“ stattfindet, die dort „Blödsinn“ lehren, und der deshalb mitunter eigenes Material für einen alternativen Geschichtsunterricht verteilen lässt. Ein Mensch, der Mails „Mit volkstreuen Grüßen“ abschließt.
Ziel: Keine Stigmatisierung des Kindes
Weil der Vater, der außerhalb Lüchow-Dannenbergs lebt, bei der Anmeldung des Kindes nicht mit seiner politischen Haltung hausieren ging, flog seine Identität nicht unmittelbar, sondern erst nach Hinweisen von außen auf. Die Schulleitung um Frank Steinwachs und der Klassenlehrer stellten innerhalb von zwei Tagen „rechtlich sicher“ fest, dass die Information korrekt war. Nach Absprache mit Fachleuten sprach die Schule den Eltern die Kündigung des Schulvertrages aus. Zu diesem Zeitpunkt war der Schüler seit zwei Monaten an der Schule. Anschließend fanden auf Bitten des betreffenden Elternpaares Gespräche zwischen ihm und der Schulleitung statt. Die Kündigung vermittelte die Schule in Abstimmung mit den Eltern des Schülers und mit den Eltern der übrigen Schüler so, „dass sie sowohl für das Kind als auch für die Mitschüler einen neutralen Charakter hatte und nicht zu einer Stigmatisierung führte“.
Kündigung in der Probezeit
Rechtlich möglich war die Kündigung, weil im ersten halben Jahr eine Probezeit gilt, in der beide Seiten den Schulvertrag ohne Angabe von Gründen kündigen können. Außerdem beinhaltet der Vertrag der Freien Schule die sogenannte Stuttgarter Erklärung vom Bund der Freien Waldorfschulen. Darin heißt es unter anderem: „Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus“ und, dass keine rassistischen und diskriminierenden Tendenzen geduldet werden. Mit ihrer Unterschrift unter den Schulvertrag akzeptieren die Eltern nach dem Verständnis der Schule den Inhalt dieser Erklärung. „Verhalten sich Eltern in eklatanter Weise gegen die Erklärung, ist das eine gravierende Vertragsverletzung“, betont Steinwachs. Das könne zur Kündigung führen, wenn auch Gespräche keine Einsicht bringen würden.
Keine Einigung
Im konkreten Fall war eine Art Einigung zwischen Schule und Eltern nicht möglich. „Der Widerspruch zwischen dem öffentlichen Auftreten des Vaters und den Grundsätzen unserer Schule war letztlich zu groß“, erläutert Steinwachs. Die „harte Entscheidung“ sei unumgänglich gewesen, weil „der Widerspruch zu unseren Werten eklatant“ gewesen sei. Die Schule habe die Kündigung „schweren Herzens dem Kind gegenüber ausgesprochen“.
Die EJZ hat versucht, mit dem Vater Kontakt aufzunehmen, um sich dessen Sichtweise auf den Vorgang schildern zu lassen. Dazu war er allerdings nicht bereit.
Das schwere Kapitel ist für die Schule damit zwar beendet. Doch gerade Waldorfschulen haben immer wieder mit rechtsextremen Eltern zu tun. Nachfrage bei Frank Steinwachs: Warum eigentlich? „Es wundert mich sehr und setzt voraus, dass die Grundprinzipien der Waldorfpädagogik komplett ausgeblendet werden oder unbekannt sind“, antwortet der Schulleiter. Er meint, dass vielleicht Themen wie ökologische Landwirtschaft und Ernährung, später Umgang mit Computer- und sonstiger Technik, die Integration von Märchen und Mythen in den Unterricht, der Umgang mit traditionellem Handwerk, eine kapitalismuskritische Grundhaltung und die Unabhängigkeit gegenüber der staatlichen Schulpolitik attraktiv für Rechtsgerichtete sein könnten. Es gibt also eine Schnittmenge von Kernthemen der anthroposophischen und der rechtsradikalen Weltsicht. Ähnliche Probleme gibt es bekanntermaßen bei Verbänden der Biolandwirtschaft und bei Globalisierungskritikern. Hinzu kommt, dass einige Thesen Rudolf Steiners, dem Gründer der Anthroposophie, sich durchaus als Rassismus auslegen lassen.
Die EJZ hat auch bei der Landesschulbehörde nachgehakt und wollte wissen, wie sie das Vorgehen der Schule einschätzt und wie aus ihrer Sicht staatliche Schulen, die keine Schulverträge kündigen können, mit nachweislich rechtsradikalen Eltern umgehen sollten. Noch steht die Antwort der Behörde allerdings aus.
Keine Agitation
Es ist nicht das erste Mal, dass die Freie Schule mit rechtsorientierten Eltern in Verbindung gebracht wird. Sogenannte völkische Siedler sollen ihre Kinder an die Schule schicken. Die Beweise dafür sind allerdings sehr dünn (EJZ berichtete). „Was gemunkelt, an die Presse und die Landesschulbehörde lanciert wird, kann ich zum Teil nicht nachvollziehen“, betont Steinwachs. Den Vorwurf, die Schule nehme Kinder aus solchen Elternhäusern an, weil die Schule auf Geld angewiesen sei, weist der Schulleiter zurück: „Das ist völliger Quatsch.“ Dafür spreche, dass die Schule jedes Jahr potenziellen Schülern absagen müsse, weil die Nachfrage großer sei als die Anzahl freier Plätze. Zudem habe man „Schüler aus diesem Milieu bereits abgelehnt, ohne es an die große Glocke zu hängen“. Was die Familien aktueller Schüler angehe, so „konnten wir trotz mehrfacher Nachfrage keine Hinweise oder Beweise für einen aktiven Szenebezug bekommen“. Auch „irgendeine Form der Agitation“ sei nicht zu erkennen.
Trotzdem sei die Schulleitung „wachsam“ und hat unter Beratung der antirassistischen Amadeu-Antonio-Stiftung und eines Fachmanns vom Bund der Freien Waldorfschulen damit begonnen, eine „Strategie im Umgang mit dieser Art von gesellschaftlichen Strömungen“ zu entwickeln. Zudem arbeitet ein Elternkreis am Thema. Der Prozess sei noch nicht abgeschlossen. Klar sei aber, dass „eine grundsätzliche Ausgrenzung von Kindern, deren Eltern aus dem mehr oder weniger rechten Milieu kommen, per se keine Lösung“ sei. Ziel sei es vielmehr „als Schule für alle Kinder Bildungsgrundsätze anzustreben, die eine individuelle, kritische und ethische Urteilsfähigkeit fördern“.
gefunden: ejz vom 30.11.2016