Pogromnacht: Burgstraße in Scherben

In der Nacht zum 10. November 1938 brannten in Deutschland Hunderte Synagogen und jüdische Geschäfte. Auch in Salzwedel wütete der Mob.

Salzwedel l „Die Neue Salzwedeler Zeitung“, Sprachrohr des Nazi-Regimes und einzig verbliebenes Blatt der Stadt, berichtet am 11. November 1938 vom angeblichen Volkszorn gegen die jüdischen Mitbürger Salzwedels. Die Abscheu über die Ermordung eines deutschen Diplomaten durch einen Juden in Paris hätte sich „durch Aktionen gegen jüdische Geschäfte in der Burgstraße Luft“ gemacht, überall hätten sich spontan Gruppen gebildet, meldet das Propaganda-Blatt. „So wurden die Schaufensterscheiben der Geschäfte Simberg, Neustadt und Bachenheimer zertrümmert.“ Auch in der Synagoge im Lohteich sei einmal „ordentlich ausgefegt worden“.

Buchhändlerin erinnert sich

Die 93-jährige Buchhändlerin Helga Weyhe, damals 14-jährige Schülerin in Salzwedel, hat den 10. November 1938 atmosphärisch gänzlich anders in Erinnerung. Auf ihrem Schulweg von der Altperverstraße durch die Burgstraße läuft sie an jenem Morgen an Schaufenster-Scherben des Geschäfts der jüdischen Familie Bachenheimer vorbei. „Ich fand das schrecklich“, erinnert sich Weyhe. „Auch meine Eltern waren furchtbar betrübt.“

An einen Volkszorn kann sich die Salzwedelerin nicht erinnern. „Wenn es einen gab, dann kam er von außen,“ sagt sie. Tatsächlich hatten die Nazis die sogenannten Novemberpogrome, bei denen deutschlandweit rund 1400 Synagogen und mehrere tausend Geschäfte zerstört wurden, zentral gesteuert. Das Regime leitete damit den Übergang von der Diskriminierung zur systematischen Verfolgung der jüdischen Deutschen ein. Wenige Jahre später begann der Holocaust.

Übergang zu systematischer Verfolgung

Weyhes jüdische Schulfreundin Eftha Bacharach wird dank glücklicher Umstände nicht Zeuge der Geschehnisse jener Tage. Die in Salzwedel bekannte Bankiersfamilie des Vaters Hermann Bacharach war bereits 1935/36 nach Palästina, ins spätere Israel, ausgewandert, berichtet Stadtarchivar Steffen Langusch. Helga Weyhe und Eftha Bacharach haben noch heute immer wieder Kontakt.

Für 26 andere jüdischstämmige Familien in Salzwedel dagegen beginnt mit der Po-gromnacht die Hölle auf Erden. Viele von ihnen werden enteignet, später deportiert und ermordet. Unter ihnen auch die Familie Bachenheimer. 1942 werden Tobias Bachenheimer und seine Frau Betty zunächst ins Warschauer Ghetto deportiert. Noch im selben Jahr werden sie im polnischen Vernichtungslager Treblinka im heutigen Polen ermordet.
Andacht und Rundgang

Anlässlich des 78. Jahrestages der Pogromnacht lädt Sabine Spangenberg am Mittwoch, 9. November, ab 19 Uhr zu einem Rundgang im Gedenken der jüdischen Mitbürger ein. Die Teilnehmer wollen am Salzwedeler Rathausturmplatz beginnend mit brennenden Kerzen zu den so genannten Stolpersteinen vor den einstigen Wohnhäusern der jüdischstämmigen Salzwedeler ziehen. Verlegt hat die Stolpersteine der Kölner Künstler Gunter Demnig.

Die Route führt über die Neuperverstraße 64 und 84 zur Gedenktafel an der Synagoge im Lohteich, in die Burgstraße 25 und 59 bis zur Altperverstraße 1. Der Rundgang ist eingebunden in eine von den Kirchgemeinden veranstaltete Andacht auf dem Jüdischen Friedhof. Diese beginnt bereits um 18 Uhr.

Von Alexander Walter

gefunden: http://www.volksstimme.de/lokal/salzwedel/progromnacht-burgstrasse-in-scherben 09.11.2016