Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grünen) ist davon überzeugt, dass der Salzstock Gorleben bei einer fairen Anwendung der nun festgelegten Kriterien „endgültig weg vom Fenster“ sei. Die Gorleben-Gegner teilen diese Einschätzung nicht. Sie befürchten, dass die Bewertung der Kriterien von Standorten in erster Linie ein Frage der politischen Machtverhältnisse sei.
gel Gorleben. „Alter Geist in neuer Flasche“: Mit diesen Worten kritisieren die Gorleben-Gegner das, was im Abschlussbericht der Endlager-Kommission steht. Aus mehreren Gründen sehen sie das Verfahren wieder nur auf Gorleben als Atommüll-Endlager hinauslaufen. Zweckpessimismus? Schwarzmalerei? Erfahrungsschatz aus 39-jähriger Gorleben-Geschichte? Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grünen) ist da deutlich optimistischer: „Wenn die Kriterien im Abschlussbericht für die neue Suche nach einem Atommülllager fair angewendet werden, ist Gorleben auch endgültig weg vom Fenster. Davon bin ich überzeugt.“ Die EJZ hakte bei Wenzel nach und stellt die Positionen gegenüber. Bei vielen Einschätzungen regiert offenbar das Prinzip Hoffnung.
Das Deckgebirge: Zum Schutz des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs wird als Abwägungskriterium gefordert, dass eine möglichst mächtige und vollständige Überdeckung mit grundwasserhemmenden Gesteinen im Deckgebirge über einem Tiefenlager vorliegt. Aber eben nur als ein Abwägungskriterium neben anderen. Bisher galt das mangelhafte Deckgebirge als größter Trumpf der Gorleben-Gegner. Sie hofften, dass es als verpflichtende Mindestanforderung im Katalog landet. Das einst geforderte Mehrbarrierensystem für ein Endlager sei nun zu einem Gummikriterium geschrumpft. Wenzel dagegen verweist auf eine „mit eiszeitlichem Sand und Geröll gefüllte Rinne (…), die in Teilen bis in das Salz hineinreichte. Im zentralen Teil des Salzstocks sind über eine Länge von etwa sechs Kilometern die tertiären Schichten vollständig erodiert (…).“ Ergo: „Die Landesregierung geht davon aus, dass Standorte mit einem günstigeren Deckgebirge (…) gefunden werden, sodass der Standort Gorleben für den weiteren Suchprozess ausgeschlossen werden wird.“
Das Wirtsgestein: Durch die gleichrangige Einbeziehung der Wirtgesteine Ton und Granit bei der Endlagersuche werde die jahrzehntelange einseitige Fixierung auf das Salz endlich aufgegeben und ein ergebnisoffener Vergleich verschiedener Endlagersysteme ermöglicht, sagt Wenzel. Wie sich bei der Asse gezeigt habe, könne bei einem Standort im Salz ein möglicherweise katastrophaler Zutritt von Wasser nie ganz ausgeschlossen werden. „Die Landesregierung geht deshalb davon aus, dass die Vorteile anderer Wirtsgesteine jetzt ernsthaft geprüft und in die Abwägung einbezogen werden. Vor diesem Hintergrund und angesichts der umfangreichen kritischen Punkte zum Standort Gorleben ist die Landesregierung der Überzeugung, dass andere Standorte günstigere Eigenschaften aufweisen werden als Gorleben, was am Ende zum Ausschluss Gorlebens führen wird.“ Die Gorleben-Gegner kritisieren dagegen, dass die Ausschluss- und Auswahlkriterien sich am Medium Salz orientierten und keinen wirklichen Vergleich zu anderen Wirtsgesteinen zuließen.
Rückholbarkeit des Atommülls: Die Kommission empfiehlt eine Tiefenlagerung nach Abkühlung der Abfälle. Im Unterschied zu früher soll eine Fehlerkorrektur durch Rückholung oder Bergung möglich sein. Wenzel meint: „Bisherige Sicherheitsbetrachtungen auch im internationalen Vergleich zeigen, dass eine Rückholung wegen der schnell beginnenden Hohlraumkonvergenz in einem Endlager im Salz ungleich schwieriger sein wird als in Ton oder Kristallin. Die Landesregierung geht deshalb davon aus, dass der dem Vorsorgegedanken Rechnung tragende Aspekt einer möglichen Rückholung während der Betriebszeit des Endlagers aufgrund der zahlreichen bestehenden kritischen Punkte zum Ausschluss Gorlebens führen wird.“
Selbst die Gorleben-Gegner müssen konzidieren, dass Salz ein „kriechendes Gestein“ sei, das den Atommüll einsinken und sich verschieben ließe. Dass diese Rückholbarkeit allerdings bloß für die Einlagerungsphase gelten soll, sehen die Gorleben-Gegner als Hasenfuß. Denn womöglich ist die Einlagerungsphase zu kurz, als dass kriechendes Salz als Nachteil ein Faktor gegen Gorleben sein könnte.
Temperatur des Atommülls: Einheitlich 100 Grad soll der Atommüll maximal heiß sein, um eine Wärmeausdehnung mit Rissbildung in Salz, Ton oder Granit zu vermeiden. Ein Fortschritt, meint Wenzel. Bisher waren für Salz höhere Temperaturen im Gespräch, was dieses Medium gegenüber den anderen favorisiert hätte, weil früher hätte eingelagert werden können.
Rechtsschutz: Auch hier sieht Wenzel Fortschritte: Der vorgesehene Rechtsschutz für Gemeinden, ihre Einwohnerinnen und Einwohner, Grundstückseigentümerinnen und Grundstückseigentümer und Verbände ermögliche vor der untertägigen Erkundung und am Ende des Verfahrens eine Klagemöglichkeit, um eine korrekte Anwendung der gesetzlichen Grundlagen überprüfen zu können. Diese Möglichkeiten seien jedoch eine Verschlechterung, meinen die Gorleben-Gegner. Diese Klagen seien nämlich nur vor dem Bundesverwaltungsgericht möglich. Und da zukünftig die Politik die Auswahlschritte per Gesetz festzurre, sei für Betroffene nur eine Verfassungsbeschwerde möglich.
Auch abschließend regiert bei Wenzel das Prinzip Hoffnung: „Nur mit einem lernenden System kann die Wiederholung von Fehlern vermieden werden, die zu einem 40-jährigen schweren gesellschaftlichen Konflikt geführt haben.“ Die Gorleben-Gegner sind da nüchterner: „Mit Hilfe dieses Auswahlverfahrens kann ein Atommüll-Endlager auch an einem geologisch ungeeigneten Standort legalisiert und endgültig durchgesetzt werden – es bleibt eine Frage der politischen Machtverhältnisse.“
gefunden: ejz (09.07.2016)