Europäische Kampagne für Entlastung der Griechischen Inseln versammelt sich im Internet

Menschenleere Mahnwache

Tausende Freiwillige aus mehr als zehn europäischen Ländern
beteiligen sich an einem virtuellen Protest für eine humanere
EU-Migrationspolitik an der griechisch-türkischen Grenze und erfinden
politische Kampagnen neu. Die Online-Demonstration ist Teil einer
Aktionswoche, die vom Europe Must Act, einer Vereinigung von
Akteuren und Akteurinnen der Zivilgesellschaft, die sich mit
Flüchtlingsrechten befassen, initiiert wurde. Sie wird in der Übergabe
einer Petition an Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen
Kommission, und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates,
am Donnerstag, den 26. März gipfeln.
Ein paar Linien, Beine, Oberkörper und ein lächelndes Gesicht. Was wie ein
kindliches Strichmännchen auf dem Pflaster der deutschen Hauptstadt Berlin
aussieht, ist Teil eines größeren europaweiten Protests für eine humanere
Behandlung von Migranten und Migrantinnen auf den Ägäischen Inseln und
an der griechisch-türkischen Grenze. Ähnliche Kreidesilhouetten tauchten an
diesem Mittwoch auf Straßen, Fabrikgeländen und sogar in Wohnzimmern im
ganzen Land auf. Nach dem Zeichnen wurden sie von ihren Schöpfern und
Schöpferinnen fotografiert und zusammen mit ihrem Standort in den sozialen
Medien und auf der Website der Kampagne hochgeladen. Die Organisatoren
und Organisatorinnen haben diese einzelnen Beiträge dann zu einem
größeren Bild zusammengefügt, die Silhouetten auf einer Online-Karte
lokalisiert und so den ersten Protest ohne Menschen geschaffen, wie sie es
nennen.
„Die Idee ist einfach“, erklärt Yanis Rosenbaum, Sprecher von Europe Must
Act, „wenn wir nicht auf die Straße gehen können, um unsere Sorge über die
Behandlung von Geflüchteten an der EU-Grenze zum Ausdruck zu bringen,
werden unsere Silhouetten uns auf den Bürgersteigen der Republik
vertreten.“ Tatsächlich erzeugt die Kampagne einen gleichzeitigen
Offline-Online-Protest, bei dem die Silhouetten öffentliche Orte markieren undschließlich mit einer gemeinsamen Demonstration auf einer Karte der
Website der Kampagne verknüpft werden. „Es ist eine völlig neue Form des
Protests, die Raum und Zeit genau im richtigen Maße einnimmt. Wenn wir nur
zu Hause etwas unternommen hätten, könnte niemand zufällig darüber
stolpern. Wenn wir nur Selfies gemacht hätten, wäre der Ort zum Zeitpunkt
des Hochladens und des Zusammenstellens aller Beiträge nicht mehr der
gleiche “, fügt der Sprecher hinzu.
Der menschenleere Protest ist nur eine der Aktivitäten von Europe Must Act,
einer Graswurzelbewegung, die von in Griechenland tätigen NGOs initiiert
wurde und die mit der Zurückweisung von Asylbewerbern in
Nordgriechenland sowie der katastrophalen Unterbringung von Geflüchteten
auf Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros vertraut sind. In einem
mehrstündigen Open-Mic-Videostream auf Youtube äußern Vertreter und
Vertreterinnen der Zivilgesellschaft und des öffentlichen Lebens ihre
Unzufriedenheit mit der EU-Migrations- und Grenzpolitik. In der Zwischenzeit
sammelt die Kampagne weitere Unterschriften für eine Online-Petition, die sie
Anfang diesen Monats gestartet hatte. Diese fordert die EU-Kommission und
den Europäischen Rat auf, das Asylrecht an der EU-Grenze wieder
einzuführen, sowie die Ägäischen Inseln durch die Verteilung von
Geflüchteten auf alle EU-Länder und die Bereitstellung von mehr personellen
und finanziellen Ressourcen zu entlasten. Bisher haben fast 60.000
Einzelpersonen und über 140 Organisationen den offenen Brief
unterzeichnet, darunter die Abgeordneten Isabel Santos von S&D, Özlem
Alev Demirel von GUE / NGL, Clare Daly von Independents 4 Change,
Dietmar Köster von SPD Europe und Damian Boeselager of the Greens/EFA.
Auch bekannte Organisationen wie Sea-Watch e.V., Mare-Liberum e.V.,
Jesuit Refugee Service Greece, Catch a Smile Luxembourg, Intereuropean
Human Aid Association, Mobile Flüchtlingshilfe e.V., People4People e.V.,
Support Convoi e.V., Refugees Foundation, Wir packen’s an sowie das
Flüchtlingswerk Flandern und der Scottish Refugee Council zählen zu den
Unterstützern.
Griechenland bleibt das versteckte Pulverfass der EU
Seitdem die Türkei Migrationsbewegungen an die griechische Grenze
befeuert hat, spannt sich die Situation sowohl am Grenzfluss Evros, der die
Türkei im Norden von Griechenland trennt, als auch auf den Ägäischen Inseln
im Süden zunehmend an. Die Antwort der EU war bis jetzt zu signalisieren,
dass die Grenzen geschlossen sind. Letzte Woche hat die griechische
Bereitschaftspolizei Migranten und Migrantinnen mit Tränengas davon
abgehalten sich der Grenze zu nähern und damit das Asylrecht aufgehoben,
das es Flüchtlingen ermöglicht an der Grenze Asyl zu beantragen. In der
Ägäis wurde zudem ein griechisches Patrouillenboot gefilmt, als es angeblich
ein Schlauchboot mit Geflüchteten an Bord angriff.“Was wir derzeit erleben, ist die Entmenschlichung und Entrechtung von
Migrantinnen und Migranten an der Grenze durch die EU. Das schlägt sich
dann in rassistischen und fremdenfeindlichen Angriffen gegen Flüchtlinge und
Ehrenamtliche vor Ort nieder“, erklärt Rosenbaum von Europe Must Act. In
den letzten Tagen kochten die Frustrationen der Bewohner und
Bewohnerinnen der Ägäischen Inseln und der lokal tätigen
Hilfsorganisationen über die mangelnde Solidarität der EU zunehmend hoch.
„Einige Einwohner fühlen sich nun von der Rhetorik von
Regierungsmitgliedern und EU-Repräsentanten ermutigt selbst Maßnahmen
zu ergreifen”, berichtet der Sprecher von Europe Must Act. Am 7. März wurde
in Lesbos ein Schul- und Gemeindezentrum für Geflüchtete in Brand gesetzt.
Am Montag brach ein Feuer im Flüchtlingslager Moria aus und forderte fünf
Tote, darunter ein Kind. In sozialen Medien wird berichtet, wie Dorfbewohner
und Dorfbewohnerinnen ein Schlauchboot mit geflüchteten Kindern und
Frauen an Bord daran hinderten an zu docken, sowie Straßen blockierten, um
Hilfstransporte in Richtung der Flüchtlingslager zu stoppen.
„Um es auf den Punkt zu bringen: Wir fordern Entlastung, Entmilitarisierung
und die Achtung der Menschenrechte“, schreibt Europe Must Act in einem
Beitrag. Mit der Online-Petition, der Menschenleeren Mahnwache und dem
Online-Videostream konnte die Kampagne diese Hindernisse überwinden und
die demokratische Beteiligung am Laufen halten. Jetzt hoffen die Aktivisten,
dass ihre Bemühungen auch zu einer Verbesserung der Notlage an der
griechischen Grenze führen werden.